Der Fünfte Elefant
erkennen, dass die Dunkelheit
links von ihm nicht etwa aus Felsen bestand, sondern aus der Lee-
re eines Abgrunds.
Ganz oben auf dem Pass glühten die Lichter eines Gasthauses
durchs Schneetreiben. Mumm lenkte die Kutsche auf den Hof.
»Detritus?«
»Herr?«
»Ich gebe uns Rückendeckung. Vergewissert euch, dass wir hier
sicher sind.«
»Ja, Herr.«
Der Troll sprang zu Boden und lud seinen Friedensstifter mit ei-
nem neuen Pfeilbündel. Mumm bemerkte seine Absicht gerade
noch rechtzeitig.
»Klopf einfach nur an, Feldwebel.«
»Ja, Herr.«
Der Trol klopfte an und trat ein. Die Geräusche im Innern des
Gasthauses verstummten abrupt. Gedämpft durch die Tür hörte
Mumm den Hinweis: »Der Herzog von Ankh-Morpork eintrifft.
Jemand ein Problem damit hat? Ein Wort genügt.« Untermalt
wurden diese Worte von dem leisen Summen der gespannten Seh-
ne des Friedensstifters.
Mumm half Sybil aus der Kutsche. »Wie fühlst du dich?«, fragte
er.
Sie lächelte schief. »Ich schätze, dieses Kleid ist ruiniert«, sagte sie. Ihr Lächeln wuchs ein wenig in die Breite, als sie seinen Gesichtsausdruck sah.
»Ich wusste, dass du etwas vorhattest, Sam. Du wirst ganz ruhig
und kühl, wenn sich etwas Schreckliches anbahnt. Ich habe mich
nicht gefürchtet.«
»Wirklich nicht?«, erwiderte Mumm erstaunt. »Ich hätte mir fast
in die Hose gemacht.«
»Was ist mit Herrn Schaumlöffel passiert? Er suchte etwas in
seinem Koffer und fluchte…«
»Ich bin sicher, Inigo Schaumlöffel ist bei bester Gesundheit«,
sagte Mumm grimmig. »Was man von den anderen Leuten in sei-
ner Nähe nicht behaupten kann.«
Im Aufenthaltsraum des Gasthofes war es still. Ein Mann und
eine Frau – vermutlich Wirt und Wirtin – standen mit dem Rücken
am Tresen. Mehr als zehn andere Personen hatten an den Wänden
Aufstel ung bezogen und hielten die Hände hoch. Bier tropfte aus
einigen umgekippten Krügen.
»Alles normal und friedlich ist«, meldete Detritus und drehte sich
um.
Mumm merkte, dass ihn alle anstarrten. Er sah an sich herab.
Sein Hemd war zerrissen. Matsch und Blut klebten an der Klei-
dung. Das Wasser von tauendem Schnee tropfte zu Boden. Und in
der rechten Hand hielt er noch immer die Armbrust.
»Ein bisschen Ärger auf der Straße«, sagte er. »Äh, ihr wisst ja,
wie das ist.«
Niemand bewegte sich.
»Bei den Göttern, Detritus, nimm das Ding runter.«
»Ja, Herr.«
Der Troll ließ seine riesige Armbrust sinken. Fast zwanzig Per-
sonen wagten wieder zu atmen.
Die dürre Wirtin trat vor, nickte Mumm zu, löste behutsam Sy-
bils Hand aus seiner und deutete zur breiten Holztreppe. Sie be-
dachte Mumm mit einem Blick, der ihn verwirrte.
Erst dann wurde ihm klar, dass Lady Sybil zitterte. Tränen
strömten ihr über die Wangen.
»Und, äh, meine Frau ist ein wenig mitgenommen«, sagte er hilf-
los. »Korporal Kleinpo!«, rief er, um seine Verlegenheit zu verber-
gen.
Grinsi trat durch die Tür.
»Begleite Lady Sy…«
Er unterbrach sich, als es plötzlich laut wurde. Mehrere Zeige-
finger deuteten in eine bestimmte Richtung. Jemand lachte. Grinsi
blieb stehen und senkte den Blick.
»Was ist los?«, fragte Mumm leise.
»Äh, es geht um mich, Herr«, sagte Grinsi. »Die Zwergenmode
von Ankh-Morpork hat sich hier nicht durchgesetzt.«
»Dein Rock?«, fragte Mumm.
»Ja.«
Mumm musterte die Leute. Sie wirkten eher verblüfft als verär-
gert. Zwei Zwerge in einer Ecke schienen al es andere als glücklich
zu sein.
»Begleite Lady Sybil«, wiederholte er.
»Das ist viel eicht keine besonders gute Idee…«, begann Grinsi.
»Verdammt und zugenäht!«, entfuhr es Mumm, als ihm der Ge-
duldsfaden riss. Von einem Augenblick zum anderen herrschte
wieder Stille. Ein wütender, blutbefleckter Irrer mit einer Armbrust hat meistens ein sehr aufmerksames Publikum. Mumm schauderte.
Was er jetzt brauchte, war ein Bett. Und was er sich vor dem Bett
wünschte, war ein ordentlicher Drink. Aber er durfte sich keinen
genehmigen. Das hatte er schon vor langer Zeit gelernt. Für ihn
war ein Drink bereits einer zu viel.
»Na schön, erklär’s mir«, sagte er.
»Al e Zwerge sind Männer, Herr«, entgegnete Grinsi. »Ich mei-
ne… traditionel . Und hier denken die Leute noch immer so.«
»Nun, dann bleib vor der Tür stehen oder… oder schließ die
Augen oder was weiß ich?«
Mumm hob Lady Sybils Kinn. »Al es in Ordnung, Schatz?«, frag-
te er.
»Tut mir Leid, dass ich dich enttäuscht habe,
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