Der Fünfte Elefant
nahm Igor als Kutscher und Fremdenführer mit, außer-
dem den Wächter Tantony und den anderen Mann, der für ihn
immer Colonesk sein würde. Schaumlöffel war noch nicht von
seiner geheimen Mission zurückgekehrt, und Mumm wol te die
Botschaft auf keinen Fall unbewacht zurücklassen.
Ein anderes Wort für »Diplomat«, so dachte Mumm, lautete
»Spion«. Der einzige Unterschied bestand darin, dass die Regierung
des Gastlandes wusste, wer man war. Es kam vermutlich darauf
an, sie irgendwie zu überlisten.
Die Sonne schien warm, es wehte ein kalter Wind, und die Berg-
luft war so klar, dass man den Eindruck gewann, nur die Hand
ausstrecken zu müssen, um die nächsten Gipfel zu berühren. Au-
ßerhalb der Stadt schmiegten sich schneebedeckte Weinberge und
Bauernhäuser an Hänge, die man in Ankh-Morpork als Wände
bezeichnet hätte. Doch nach einer Weile drängte sich der Kiefern-
wald immer näher an die Straße. Hier und dort, in einer Kurve,
konnte man weit unten den Fluss sehen.
Auf dem Kutschbock stöhnte Igor vor sich hin.
»Er hat mir gesagt, dass sich Igors schnell erholen«, meinte Lady
Sybil.
»Vermutlich bleibt ihnen gar keine Wahl.«
»Herr Schaumlöffel bezeichnete sie als sehr geschickte Chirur-
gen, Sam.«
»Allerdings lässt ihr Talent im Fachbereich der kosmetischen
Chirurgie zu wünschen übrig.«
Die Kutsche wurde langsamer.
»Kommst du oft hierher, Igor?«, fragte Mumm.
»Herr Müde lief fich ein Mal pro Woche fum Turm fahren, um
die neueften Nachrichten abfuholen, Herr.«
»Es wäre doch al es viel einfacher, wenn es in Bums einen Nach-
richtenturm gäbe.«
»Der Ftadtrat ift ftrikt dagegen, Herr.«
»Und du?«
»Ich vertrete eine fehr moderne Einftel ung, Herr.«
Der Turm ragte ganz in der Nähe empor. Die ersten sechs Meter
bestanden aus Stein und hatten schmale, vergitterte Fenster. Eine
große Plattform diente als Basis für den eigentlichen Turm. Eine
solche Anordnung war durchaus vernünftig. Einem Feind würde
es sehr schwer fal en, ins Innere des steinernen Sockels zu gelan-
gen oder den Turm in Brand zu setzen. Es gab genug Platz für
Vorräte, um einer Belagerung standzuhalten. Außerdem mussten
Angreifer damit rechnen, dass die Männer im Turm schon dreißig
Sekunden nach dem Angriff einen Hilferuf übermittelten. Der
Turmgesellschaft mangelte es weder an finanziellen Mitteln noch
an Entschlossenheit. Wenn ein Turm ausfiel, so traf schon bald
jemand ein, der Fragen stellte und auf Antworten bestand. Hier
gab es kein Gesetz. Die von der Gesel schaft gesandten Fragestel-
ler übermittelten eine klare Botschaft an die Welt: Nachrichten-
türme durften auf keinen Fal angerührt werden.
Das sollte inzwischen allgemein bekannt sein. Umso erstaunli-
cher war es, dass sich die Signalarme des Turms nicht bewegten.
Mumm spürte, wie sich ihm die Nackenhaare aufrichteten. »Bleib
in der Kutsche, Sybil«, sagte er.
»Stimmt was nicht?«
»Ich weiß es nicht genau«, erwiderte Mumm, obwohl er es genau
wusste. Er stieg aus und nickte Igor zu.
»Ich sehe mich im Turm um«, sagte er. »Wenn es irgendwel-
che… Probleme gibt, bringst du Lady Sybil zur Botschaft zurück,
klar?«
Mumm beugte sich durch die Tür und mied Sybils Blick, als er
einen der Sitze anhob und das darunter versteckte Schwert hervor-
zog.
»Sam!«, sagte Lady Sybil vorwurfsvoll.
»Entschuldige, Schatz. Ich hielt es für besser, in solchen Situati-
onen nicht mit leeren Händen dazustehen.«
Neben der Tür des Turms hing ein Klingelzug. Mumm zog dar-
an und hörte weiter oben ein Klappern.
Als sonst nichts geschah, versuchte er, die Tür zu öffnen. Sie
schwang auf.
»Hallo?«
Alles blieb still.
»Hier spricht die Wa…« Mumm beendete den Satz nicht. Die
Wache spielte hier keine Rol e. Niemand scherte sich um die
Dienstmarke. Er war nichts weiter als ein neugieriger Eindringling.
»Ist jemand da?«
In dem Raum stapelten sich Säcke, Kisten und Fässer. Eine
Holztreppe führte zur nächsten Etage. Mumm ging die Stufen
empor und erreichte einen Raum, der eine Mischung aus Schlaf-
zimmer und Speisesaal darstellte. Nur zwei schmale Betten standen
dort, die Decken zurückgeschlagen.
Ein Stuhl war umgekippt. Der Tisch war gedeckt; Messer und
Gabel lagen ordentlich neben einem Tel er. Auf dem Herd hatte
etwas so lange gekocht, bis im Topf nur noch eine trockene Masse
übrig geblieben war. Mumm öffnete die Klappe des Feuerraums,
und ein Zischen erklang,
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