Der fünfte Mörder
musste es nur erst ganz begreifen.
»Alles in Ordnung?«, fragte Liebekind besorgt.
»Völlig.«
»Sie liebt Sie sehr. Seien Sie bitte gut zu ihr. Wenn Sie ihr jemals wehtun sollten, dann haben Sie einen Feind in mir.«
Plötzlich mussten wir beide lachen. Nicht, weil irgendetwas lustig gewesen wäre. Die Situation war so irreal, so vollkommen absurd, dass wir einfach keine andere Art fanden, damit umzugehen.
Liebekind erzählte ungefragt von den Anfängen seiner Ehe und auch von Theresa. Auf diesem Weg erfuhr ich zum ersten Mal, dass meine Geliebte vor zehn Jahren wegen einer Unterleibsgeschichte längere Zeit im Heidelberger Universitätsklinikum gelegen hatte. Zum Glück war sie jedoch vollständig genesen. AnschlieÃend hatte sie â damals war sie schon weit über dreiÃig gewesen â mangels anderer Perspektiven eine wissenschaftliche Karriere angestrebt. Sie hatte an der Ruprecht-Karls-Universität eine Stellung als Wissenschaftliche Angestellte gefunden und eine Dissertation begonnen, die sie nie zu Ende brachte. Vor zwei Jahren hatte sie ihre Stelle â in den letzten sechs Monaten war es nur noch eine halbe gewesen â verloren, da ein Forschungsvorhaben auslief. Seither privatisierte sie. Und seit Neuestem schrieb sie nun also Bücher.
»Sie haben es schon gelesen?«, fragte ich.
»Mit Genuss.« Ich hörte mehr, als dass ich sah, wie Liebekind schmunzelte. »Sie schreibt ungemein lebendig. Kein bisschen akademisch. Ihre Figuren sind oft so lebensecht, man kann kaum glauben, dass die meisten seit über zweihundert Jahren tot sind.«
Wir erreichten das Walldorfer Kreuz, wechselten auf die A Â 5.
»Macht Ihr Wagen immer diese seltsamen Geräusche?«, fragte Liebekind, als wir ungefähr an der Stelle waren, wo man vor etwa zwölf Stunden auf Piotr Voronin geschossen hatte. Mein Auto machte schon sehr lange irgendwelche Geräusche.
Meinem Chef zu Gefallen lauschte ich eine Weile.
»Für mich klingt er eigentlich wie immer«, sagte ich.
»Er ist schon sehr alt, nicht wahr?«
»Ein halbes Jahr älter als meine Töchter.«
Als ich ihn vor seiner Haustür in Rohrbach absetzte, meinte ich im Osten einen ersten Schimmer graues Licht zu erahnen.
7
Die an Sonn- und Feiertagen üblicherweise ruhige Polizeidirektion wimmelte heute von Menschen. Ich saà kaum mit vor Schlaflosigkeit kleinen Augen am Schreibtisch vor einem selbst zubereiteten Cappuccino, als Balke hereinplatzte.
»Wir haben ihn!«
»Wen?«
»Diesen Südländer, der sich vor dem Bella Napoli rumgetrieben haben soll.« Atemlos plumpste er auf einen der Stühle auf der anderen Seite meines Schreibtischs. »Das heiÃt, so richtig haben wir ihn noch nicht, aber so gut wie. Der Nachbar neben dem Bella Napoli hat ihn heute Morgen wieder gesehen und schlauerweise fotografiert. Dann hat er das Revier Mitte alarmiert, aber bis die vor Ort waren, war der Typ schon wieder weg. Derzeit fahren sie mit fünf Wagen das Viertel ab.«
Er schob mir eines der Fotos über den Tisch. Der junge, schmale Mann hatte keinerlei Ãhnlichkeit mit unserem Phantombild.
»In ein, zwei Stunden haben wir ihn. Bin schon mächtig gespannt, was er uns zu erzählen hat.«
Es war fast zehn Uhr. Nach der unruhigen Nacht hatte ich mir erlaubt, ein wenig länger zu schlafen. Als ich um Viertel vor fünf endlich nach Hause gekommen war, war im Bad Licht gewesen. Ich hatte die Stimmen meiner Töchter gehört und Geräusche, als würde eine der beiden sich erbrechen. Gesehen hatte ich sie allerdings nicht, denn ich war viel zu erschöpft gewesen, um noch mit ihnen herumzustreiten. Heute, hatte ich mir vorgenommen, heute Abend würde ich Klartext reden mit den beiden Früchtchen. Lautstarken Klartext.
Die Nacht war ruhig verlaufen, berichtete Balke, der unseren kleinen Zwist von gestern Abend vergessen zu haben schien. »Keine neuen Anschläge, keine neuen Leichen, nichts explodiert.«
Unsere Schriesheimer Kollegen hatten die Nacht über Sonderschichten geschoben und in ihren Streifenwagen Runde um Runde gedreht, um der Russin klarzumachen, dass wir uns nicht auf der Nase herumtanzen lieÃen.
Seit vier Uhr fünfzehn lag auch die Genehmigung zur Telefonüberwachung vor, berichtete Klara Vangelis, als sie mit einem groÃen Kaffeebecher in der Hand hereinkam. Mein Cappuccino war inzwischen ausgetrunken,
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