Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der fünfte Mörder

Titel: Der fünfte Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
Vom Netzwerk:
essen geben.«
    Lorenzo konnte besser kochen als mancher Chef de Cuisine in sogenannten Edelrestaurants. Im Lauf seiner Rezeptionistenkarriere hatte er mehr als einem Sternekoch aufmerksam über die Schulter gesehen. Die Versuchung war groß, ungeheuer groß, Theresa abzusagen und stattdessen Lorenzo zu besuchen.
    Aber ich widerstand. Jetzt oder nie.

    Ich hatte einen Spaziergang vorgeschlagen. Ein Gespräch auf neutralem Boden sozusagen. So trafen wir uns in Neuenheim, nicht weit von der Stelle, wo vor Tagen der Cayenne explodiert war, küssten uns natürlich nicht in der Öffentlichkeit und gingen schweigend los.
    Das Praktische am Heidelberger Philosophenweg ist, dass er auf den ersten zweihundert Metern so steil ansteigt, dass man sich unmöglich unterhalten kann. Schon nach wenigen Schritten waren wir beide außer Atem und mussten langsamer gehen. Theresa neben mir, die große Handtasche am langen Riemen über der Schulter, den Blick starr auf den asphaltierten Weg gerichtet. Sie machte keinen Versuch, den Abstand zwischen uns zu verringern.
    Â»Wie geht’s dir?«, fragte sie, als wir den ebenen Teil des vermutlich berühmtesten Spazierwegs der Welt erreicht hatten.
    Â»Ich komme mit meinen Töchtern nicht mehr klar«, seufzte ich. »Ich weiß nicht, was ich noch machen soll.«
    Bis auf gelegentliche Jogger mit Stöpseln in den Ohren und weltvergessene Liebespaare waren wir die Einzigen auf der Strecke.
    Â»Deine Mädchen sind zauberhaft«, erwiderte Theresa ernst und immer noch, ohne mich anzusehen.
    Â»Du hast leicht reden.«
    Â»Nein, habe ich nicht. Ich hätte gerne Kinder gehabt. Aber … nun weißt du es ja.«
    Wieder gingen wir eine Weile schweigend nebeneinander her.
    Â»Nein«, sagte ich schließlich. »Ich weiß es nicht. Genau genommen weiß ich nichts über dich.«
    War der Abstand zwischen uns geringer geworden, oder kam es mir nur so vor? Theresa schien traurig zu sein und wütend zugleich. Zum ersten Mal, seit wir uns kannten, hatte sie mir eben einen winzigen Einblick in ihr Leben gewährt, wurde mir bewusst. Irgendwann einmal hatte ich sie gefragt, warum sie keine Kinder hatte. Damals hatte sie ausweichend geantwortet. Da war wieder diese Mauer gewesen. Die es jetzt plötzlich nicht mehr gab.
    Wir blieben stehen und sahen auf die Stadt hinunter. Das Schloss am Hang gegenüber, der Fluss, der Millionen Lichter reflektierte, das Summen und Sausen tausendfachen Lebens.
    War es das, was mich so erschreckt hatte? Die auf einmal fehlende Mauer? War es nicht sehr bequem gewesen, eine Geliebte zu haben, deren tägliche Sorgen mich nicht zu kümmern brauchten? Die aus dem Nichts kam und später einfach wieder verschwand? Die nie krank war, wenn wir uns trafen, nie deprimiert, selten traurig?
    Immer noch schweigend gingen wir weiter. Irgendwo dort unten musste Lorenzos Haus stehen. Plötzlich war ich mir sicher: Der Abstand zwischen Theresa und mir war geringer geworden in den letzten Minuten. Ich hätte nicht sagen können, wer sich an wen angenähert hatte. Und auf einmal, ganz von allein, streckte sich mein rechter Arm aus und zog sie an mich. Sie ließ es zu, den Blick immer noch abgewandt. Heute trug sie flache Schuhe, weshalb sie einen halben Kopf kleiner war als ich.
    Unten im Tal hupten Autos, lachten Menschen. Hier oben war es ruhig und kühl. Es duftete nach Wald und Frühlingsdämmerung. Theresa legte ihren Kopf an meine Schulter.
    Â»Wieder gut?«, fragte sie leise.
    Â»Ja.« Meine Stimme klang rau. »Ich glaube schon.«
    Â»Da bin ich froh«, sagte sie traurig.
    Ich musste schlucken. »Ich auch.«
    Und wieder gingen wir ein Stück schweigend.
    Â»Ich liebe dich«, sagte sie trotzig, blieb abrupt stehen und löste sich von mir. »Auch wenn du ein schrecklicher Dummkopf sein kannst.«
    Nebeneinander standen wir an der Mauer und sahen auf die Altstadt hinunter, die tief unter uns lag.
    In dieser Sekunde erinnerte ich mich an unseren ersten gemeinsamen Spaziergang, kurz nachdem wir uns unter höchst merkwürdigen Umständen kennengelernt hatten. Damals waren wir am gegenüberliegenden Hang gewesen, auf der anderen Seite des Neckartals, und sie hatte mir, dem Neuling in Heidelberg, ihre Stadt gezeigt. Auch damals war es dunkel gewesen, und Vera noch nicht einmal ein Jahr tot, und ich selbst noch voller Aufruhr und Verwirrung. An jenem Abend hatte sie

Weitere Kostenlose Bücher