Der fünfte Mörder
Eichendorff zitiert: »Und jeden blicktâs wie seine Heimat an.«
War ich jetzt angekommen? Hatte ich heute meine Trauer um Vera hinter mir gelassen und war bei Theresa angekommen?
»Sie hieà Vera«, hörte ich mich sagen.
Theresa sah mich von der Seite an. Ich wusste nicht, ob sie meine Bemerkung verstanden hatte. SchlieÃlich zog sie meinen Kopf zu sich herunter und tupfte einen vorsichtigen Kuss auf meine trockenen Lippen.
»Das mit deinen Töchtern wird schon«, sagte sie leise. Ich war mir sicher, dass sie etwas anderes hatte sagen wollen, und war ihr dankbar dafür, dass sie es nicht tat.
Wir machten kehrt und gingen langsam zurück. Wir gingen untergehakt und schweigend wie ein altes Ehepaar.
»Lass uns noch mal von vorn beginnen«, schlug Theresa vor, als wir die ersten Häuser erreichten. »Und vielleicht hast du recht. Vielleicht hätte ich dir mehr von mir erzählen sollen.«
»Das ist ein guter Vorschlag«, fand ich. »Und natürlich habe ich recht.«
Fühlte ich mich besser? Nein, denn ich fühlte gar nichts. In mir waren nur bleierne Leere und unendliche Ratlosigkeit.
16
»Herr Gerlach«, rief mir die Blonde an der Pforte hinterher, als ich am Mittwochmorgen die Direktion betrat. »Er hatâs immer noch nicht abgeholt!«
Ich machte kehrt. »Wer hat was nicht abgeholt?«
»Dieser alte Bulgare. Sie haben mir doch am Samstag Sachen für ihn gegeben. Erinnern Sie sich nicht? Er hat sie aber nicht abgeholt.«
Richtig, Schivkov. Er war bei mir gewesen und hatte irgendwelche Dokumente auf meinem Schreibtisch liegen lassen.
»Er muss aber doch hier vorbeigekommen sein.«
Sie zuckte ratlos die Schultern. »Ich hab ihn nicht gesehen, weder vorher noch nachdem Sie bei mir gewesen sind. Ich hab die ganze Zeit hier gesessen und aufgepasst.«
»Vielleicht hat er den Hinterausgang genommen? Ãber den Parkplatz?«
Sie nickte. »Ist natürlich auch möglich, dass ich telefoniert hab oder mit wem geredet. Aber normalerweise ⦠Schon komisch, irgendwie. Der kann sich doch wohl nicht in Luft aufgelöst haben?«
»Wie weit sind wir mit dem Brandanschlag auf das Bella Napoli?«, fragte ich bei der morgendlichen Lagebesprechung aufgeräumt in die Runde.
In der vergangenen Nacht hatte ich blendend und endlich einmal wieder lang genug geschlafen.
»Da gibtâs leider wenig Neues.« Balke suchte in seinem Handy nach einer Datei. »Dass die Brandgranaten aus israelischer Produktion stammen, ist inzwischen bestätigt. Ansonsten: keine Fingerspuren, kein Sonstirgendwas. Nicht mal den Mercedes haben wir bisher gefunden.«
Auch Klara Vangelis klang heute ungewohnt frustriert: »Bei dem Bankraub sieht es keinen Deut besser aus. Immerhin haben wir den ausgebrannten Pritschenwagen anhand der Fahrgestellnummer zurückverfolgen können: Bis vor einem halben Jahr hat er einer kleinen Firma in Lüttich gehört. Damals war er allerdings noch sonnengelb. Brauchbare Zeugen für die Bauarbeiten im Tunnel scheint es nicht zu geben. Die Täter scheinen meist nachts gearbeitet zu haben. Nicht einmal die DNA -Spuren aus dem Tunnel helfen uns weiter. Der Mensch, von dem sie stammen, ist in keiner unserer Datenbanken.«
»Der Bombenanschlag auf den Cayenne ergibt ja nun im Zusammenhang mit dem Bankraub einen Sinn«, überlegte ich. »Aber wozu musste anschlieÃend das Bella Napoli niedergebrannt werden?«
»Und was ist mit der Wasserleiche?«, fragte Balke entnervt. »Und mit Voronin? Hängt das alles zusammen oder nicht?«
Niemand wusste eine Antwort.
Balke tippte lustlos auf seinem Handy herum.
»Einen kleinen Lichtblick gibt es vielleicht doch«, fiel Vangelis ein. »Ich habe alle Personen im Umfeld der Bank daraufhin überprüfen lassen, ob einer als Tunnelbauer oder Bombenbastler in Frage kommt. Und da gibt es tatsächlich jemanden: Ferdinand Prembeck. Das ist der Glatzkopf, der über der Bank wohnt. Der Mann ist studierter Elektronikingenieur und schon seit Jahren arbeitslos. Früher hatte er eine kleine Firma für Funktechnik.«
»Funktechnik?«, fragten Balke und ich gleichzeitig.
»Er hat Fernsteuerungen entwickelt, unter anderem für diese kleinen Roboter, mit denen die Bundeswehr Minen entschärft. Zu seiner Kundschaft gehörte das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung in Koblenz. Eigentlich ein krisensicheres
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