Der fünfte Mörder
Projektil wieder ausgetreten und hatte ein faustgroÃes Loch hinterlassen.
Merkwürdigerweise kaum Blut.
Eine der beiden Fensterscheiben hatte ein etwa daumennagelgroÃes Loch. Zwei der vier uniformierten Kollegen, die sich im engen Treppenhaus gegenseitig auf die FüÃe getreten waren, verabschiedeten sich erleichtert. Die Hausherrin rumpelte und schepperte unten herum, vermutlich in der Küche. Offenbar hatte sie keinen ärztlichen Beistand gewünscht.
»Abgeknallt!«, murmelte der jüngere der beiden Kollegen, die bleiben mussten, und schluckte immer wieder. »Wie Vieh!«
Die Einrichtung des Zimmerchens war bunt gemischt und ein wenig überladen. Ein schmales Bett, daneben ein altertümlicher, mit Samt bezogener Sessel, über dessen Lehne die sauber gefaltete Kleidung des Toten hing, eine vermutlich hundert Jahre alte, mit Schnitzereien verzierte Nussbaumkommode. Den Boden bedeckte helles Laminat aus dem Baumarkt. In einer Ecke hing eine übergroÃe und atemberaubend kitschige Madonna, zu deren FüÃen ein paar Stiefmütterchen verwelkten. Voronin, den ich in diesen Sekunden zum ersten Mal sah, hatte am Fenster gestanden, als der Schuss ihn traf. Möglicherweise war er dabei gewesen, den Rollladen hochzuziehen, oder hatte nach dem Aufstehen ein wenig Luft schnappen wollen. Balke hielt inzwischen einen Zollstock in der Hand und maà die Höhe des Einschusslochs im Fenster. Dann warf er einen prüfenden Blick auf den Toten und wieder hinaus.
»Von oben aus dem Wald«, sagte er durch die Zähne und sah mich an. »Wollen wir?«
Eine Viertelstunde später standen wir etwa fünfzig Meter vom Haus entfernt und etwa zehn Meter darüber am Waldrand. Hinter uns verlief ein breiter Weg von Süden nach Norden. Die Stelle, wo der Schütze gestanden haben musste, war nicht schwer zu finden gewesen.
»Hier sind frische Spuren!« Balke ging in die Hocke.
Tatsächlich fanden wir eine Menge FuÃabdrücke. Der Mörder hatte vermutlich längere Zeit hier gewartet, bis sein Opfer am Fenster erschien. Ein Baumstamm wies feine, auf den ersten Blick kaum erkennbare Abschürfungen auf.
»Da hat er das Gewehr angelegt.« Balke peilte mit schmalen Augen in Richtung Haus. »Auf die Entfernung geht das nur mit Zielfernrohr. Der Zeitpunkt war perfekt. Er muss die Sonne genau im Rücken gehabt haben.«
»Damit haben wir jetzt zwei tote Russen«, seufzte ich.
»Das Wochenende können wir abschreiben«, meinte Balke. »Und die Spusi ist auch schon da.«
Ich entdeckte einen weià gekleideten Kollegen mit Kapuze am Fenster, hinter dem Voronin vor etwa einer Stunde gestorben war. Daneben meinte ich Klara Vangelis zu erkennen, die ihm etwas erklärte.
23
Piotr Voronins Mörder hatte östlich des Orts am Rand der KreisstraÃe geparkt, vermuteten wir. Von dort war er einige hundert Meter dem Weg in den Wald hinein gefolgt und hatte sich zielsicher nach links ins Gestrüpp geschlagen. Offenbar war er mit den Ãrtlichkeiten vertraut gewesen, denn seine Spuren führten geradewegs zu dem Baum, neben dem er dann Stellung bezogen und auf sein Opfer gewartet hatte. Nicht weniger als fünf Nachbarn hatten um kurz nach acht den Knall gehört. Keiner hatte sich etwas dabei gedacht, weil in dem Waldstück, das sich etwa zwei Kilometer nach Osten ausdehnte, hin und wieder gejagt wurde. Drei Zeugen wollten zur fraglichen Zeit einen abgestellten Wagen auf dem Wanderparkplatz gesehen haben. Wie üblich hatte keiner auf das Kennzeichen geachtet, die Angaben zu Farbe und Fahrzeugtyp waren widersprüchlich. Unsere vorläufig besten Spuren waren die FuÃabdrücke und eine Patronenhülse.
»Kaliber siebenzweiundsechzig«, berichtete Balke, als er kurz vor Mittag vom Tatort zurückkehrte. Ich selbst hatte mich schon früher von einer Streife nach Heidelberg zurückfahren lassen.
»Was sagt die Frau?«
»Sie ist irgendwie eine entfernte Cousine von Voronin. Seit ihr Mann vor drei Jahren gestorben ist, lebt sie allein in dem Haus. Kurz nach acht hat sie gehört, wie Voronin aufgestanden ist, sagt sie. Sie selbst war zu dem Zeitpunkt in der Küche und hat Frühstück gemacht. Sekunden später hat es drauÃen geknallt und oben gerumpelt. Sie hat nichts gesehen und nichts gehört und nichts begriffen. Dass ihr Cousin tot ist, scheint ihr ziemlich schnuppe zu sein.«
Auch Vangelis hatte
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