Der fünfte Mörder
der Stirn ein kleines schwarzes Loch.
Der rotblonde Arzt sagte, ohne aufzusehen: »Die Zähne sehen nicht aus, als hätte ein mitteleuropäischer Zahnarzt sie repariert.«
Während er den Körper auf der Suche nach Knochenbrüchen oder verdeckten Verletzungen abtastete, sprach er ein wenig Latein in sein Diktiergerät.
Das Wasser des Neckars schimmerte bleiern. Kleine Wellen platschten träge gegen das Ufer. Wir standen auf der Rampe, die zum Fähranleger hinunterführte, wenige Meter vom Ufer entfernt. Ein Frachtkahn brummte flussaufwärts. Nervöse Fliegen umsummten uns. Die Luft war für die Uhrzeit zu warm â es war noch nicht einmal halb neun. Meine Kopfschmerzen wurden allmählich stärker.
Der Arzt knöpfte das fein karierte Hemd des Toten auf, drückte ein Stethoskop auf die Brust und klopfte ihn ab.
»Seit wann ist er tot?«, fragte ich.
»Ich bin kein Forensiker, aber wie die Haut aussieht, badet der schon eine Weile. Ich vermute, er ist erst untergegangen, die Lungen sind nämlich voller Wasser, und nach ein paar Tagen wieder aufgetaucht. Das kommt von der Gärung. Im Körper bilden sich im Zuge der Verwesung Gase â¦Â«
»Man verliert echt jede Lust, im Neckar zu baden«, meinte eine junge stämmige Kollegin und biss herzhaft in ihr mitgebrachtes Leberwurstbrot.
Das gemeinsame Mittagessen begann mit Gebrüll und endete in Tränen.
Als Erstes konfrontierte ich meine Töchter mit dem Anruf der Lehrerin, ohne allerdings deren Namen zu nennen.
»Das kann nur die blöde Goetschkuh gewesen sein«, lautete Sarahs Kommentar. »Die rennt zu oft in die Kirche.«
»Klar trinken wir mal was«, gestand Louise patzig. »Machen doch alle.«
»Wärâs dir vielleicht lieber, wir würden kiffen?«, giftete Sarah. »Eitsch nehmen? Was einwerfen?«
Wütend stocherte sie in ihren Spaghetti alla carbonara â statt Speck mit Räuchertofu.
Ãber das Thema Schlafenszeiten (»Wir sind fast sechzehn, Paps!«) kamen wir zu ihren desolaten Schulleistungen. Mein Hinweis auf ihre haarsträubenden Noten wurde mit dem uralten Argument pariert, viele berühmte Menschen hätten in ihrer Jugend schlechte Noten gehabt. Zum Beispiel Einstein. Aber heute gab ich mich nicht so leicht geschlagen. Ich verdonnerte die beiden dazu, ab sofort regelmäÃig und vor allem nicht mehr auf den letzten Drücker ihre Hausaufgaben zu machen.
»Und ich erwarte, dass ihr sie mir jeden Abend unaufgefordert zur Kontrolle vorlegt, haben wir uns verstanden?«
»Und was machen wir, wenn du mal wieder nicht da bist?«, wollte Sarah wissen. »Müssen wir dann aufbleiben, bis du kommst?«
»Das werden wir sehen, wenn es so weit ist.« Schlecht gekontert, fand ich selbst.
»Hast du Stress im Büro, oder wieso bist du heute so komisch?«, fragte Louise.
»Ich bin überhaupt nicht komisch!« Ich mäÃigte meine Stimme sofort wieder. Wer brüllt, verliert. »Ich mache mir Sorgen um euch, Herrgott noch mal!«
Die Diskussion entwickelte sich in die völlig falsche Richtung, wurde mir bewusst. Ich befand mich unerwartet in einer Verteidigungsposition.
»Machen wir Nägel mit Köpfen. In zehn Minuten will ich eine Liste von euch sehen mit sämtlichen Noten, die ihr in diesem Halbjahr geschrieben habt.«
»Eine Liste oder zwei Listen?«, fragte Sarah mit treuherzigem Augenaufschlag. »In manchen Arbeiten haben wir nämlich verschiedene Noten gehabt.«
Nun wurde ich doch noch einmal laut. Maulend und zeternd trollten sie sich. Exakt elf Minuten später erschienen sie wieder, jede mit einem Papier in der Hand. Vermutlich kamen sie absichtlich eine Minute zu spät und hatten, nur um mich zu ärgern, besonders unansehnliche Fresszettel genommen.
»Damit landet ihr in der Gosse«, erklärte ich kategorisch »Wenn das nicht besser wird, dann schalte ich euch das WLAN ab.«
Das fanden sie eine hundsgemeine Erpressung, was es bei Licht besehen ja auch war. Aber hin und wieder muss man seine Kinder zu ihrem Glück zwingen.
»Was ist eigentlich aus eurer Band geworden?«, fragte ich dann. »Man hört in letzter Zeit überhaupt nichts mehr davon.«
»Hä?«, fragten sie im Chor. »Was soll das denn jetzt?«
»Ihr habt mich ganz genau verstanden.«
»Wir haben doch null Erfolg gehabt.«
»Immer bloà üben und
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