Der Fürst der Maler
Gianni die Anweisung, die Werkstatt aufzuräumen und unsere Reisetruhen zu packen. Ich war beunruhigt, obwohl Cesare Borgia sich mir gegenüber wohlwollend verhalten hatte. Weder Urbino noch Rom schienen mir die geeigneten Orte, seine triumphale Rückkehr nach Italien abzuwarten.
Als wir das Stadttor von Urbino durchquerten, fiel der erste Schnee.
Kapitel 8
Wer Wind sät, wird Sturm ernten
W ir hatten den Weg von Urbino bis Gubbio durch die Schluchten und über die Bergpässe des Apennin über die Römerstraße Via Flaminia genommen. Von Gubbio führten uns die etruskischen Höhenwege bis nach Perugia. Wir übernachteten in Herbergen und Klöstern und einmal, als wir während eines Unwetters vom rechten Weg abkamen und unwissentlich nach Assisi abbogen, sogar in einem Stall. Wir waren erschöpft von der tagelangen Reise, als wir endlich die Stadtmauern von Perugia vor uns auf dem Berg liegen sahen.
Der Abend dämmerte bereits, als Gianni, Gio’ und ich die Porta San Angelo erreichten. Gerade noch rechtzeitig, denn die Trommeln signalisierten, dass die Stadttore in wenigen Minuten für die Nacht geschlossen würden.
Wir ritten durch die engen Straßenschluchten zwischen den fünfstöckigen Häusern am alten etruskischen Tor vorbei zur Kathedrale San Lorenzo und dem großen Stadtbrunnen gegenüber dem Palazzo dei Priori.
Perugia, das so viele Jahre meine Heimat gewesen war, schien mir neben Florenz ein winziges Dorf zu sein! Die Gassen waren eng und ungepflastert, und vor allem: Hier gab es keine allmorgendliche Straßenreinigung mit Wasser und Besen wie in Florenz.
Und doch: Perugia platzte aus allen Nähten! Die Häuser waren vier, fünf, sechs Stockwerke hoch und wurden immer wieder aufgestockt. Straßen und Passagen wurden mit Torbögen überbaut, in denen wiederum Menschen wohnten. Irgendwann, dachte ich, würde eines der uralten Häuser umfallen und alle anderen mit sich reißen.
Hinter dem Priorenpalast bogen wir durch einen dunklen Torbogen in die Via dei Priori ab. Dann links, und wieder rechts. Pietros Häuschen in der Via Deliziosa 17 hing wie ein Schwalbennest an der Stadtmauer, eingekeilt zwischen zwei größeren Häusern. Am Hoftor prangte unübersehbar das alte Schild, das ich als Lehrling gemalt hatte: Petrus Vannucius, Magister Artium et Pictor. Im Hof sprang ich aus dem Sattel und stieg die schmale Treppe hinauf, auf der ich meine ersten Kohleskizzen angefertigt hatte: im Wind flatternde Wäsche an der Leine.
Pietro Perugino öffnete selbst die Tür. In der Hand hielt er einen zerbeulten Zinnbecher mit köstlichem duftendem Glühwein, den er vor Schreck fallen ließ, als er mich im Schein der Fackel neben der Tür erkannte. » Va all’ inferno, Raffaello!«, brüllte er wie ein wütender Löwe. »Was, zum Teufel, willst du in Perugia?«
Ich ersparte ihm die Ungewissheit: »Malen.«
Ungläubig sah er mir zu, wie ich meine Kleidertruhe an ihm vorbei in seine Bottega trug und abstellte. »Und was willst du in meinem Haus?«
»Schlafen.« Der Prophet Daniel schlief bei den Löwen – und ich bei Pietro Perugino. »Wenn du nichts dagegen hast, werde ich in meinem alten Bett schlafen. Das sind meine Schüler Giovanni da Udine und Gian Francesco Penni. Sie können in der Küche schlafen. Morgen früh werden wir verschwunden sein, als wären wir nie hier gewesen. Versprochen!«
Violetta war die Treppe herabgekommen, um zu sehen, über wen ihr Vater sich so aufregte. »Raffaello!«, rief sie und flog in meine Arme.
»Violetta! Meine kleine Windbö!« Ich hob sie hoch und wirbelte sie herum, wie ich es früher immer getan hatte. Als wir wie Bruder und Schwester unter einem Dach gelebt hatten.
»Was für eine Überraschung! Wenn ich gewusst hätte, dass du kommst, hätte ich Agnellotti mit Fasanfüllung gekocht. Dein Lieblingsessen!« Ich stellte sie auf den Boden zurück. »Papa hat mir erzählt, dass ihr euch in Florenz versöhnt habt. Ich bin ja so froh, dass ihr euch wieder vertragt. Und dass du jetzt hier bist!« Sie hatte meine Hand ergriffen und zog mich zur Treppe. »Du warst in Urbino, nicht wahr? Hast du den Papst gesehen? Du musst mir vom jungen Herzog Francesco und seiner Gemahlin erzählen. Und von den eleganten Kleidern, die in diesem Winter bei Hof getragen werden. Und welche Rezepte du mir aus der herzoglichen Küche mitgebracht hast, und …«
Pietro hatte – wie immer – nicht den Hauch einer Chance gegen die stürmische Art seiner Tochter. Grollend wie ein fernes Gewitter
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