Der Fürst der Maler
Botschaft, das Evangelium selbst malen.
Gian Antonio Sodoma nannte mich scherzhaft einen ›Schüler Leonardos‹, weil es schien, als wollte ich vor lauter Vorbereitungen nicht mit dem Skizzieren und Malen beginnen.
»Wozu Bücher lesen, Raffaello? Du bist kein Philosoph, sondern Maler«, rief er eines Tages, als ich erst am späten Nachmittag in der Stanza erschien.
Giulio Romano und Raffaellino del Colle verputzten die Wand für das erste Fresko.
»Ich nehme erst den Pinsel in die Hand, wenn ich weiß, was ich male«, erklärte ich.
»Es muss ein monumentales Werk werden, wenn du so lange darüber nachdenkst«, lachte Gian Antonio. »Welch gewaltige Gedanken zermartern deinen schönen Kopf? Zeig mir deine Skizzen, Raffaello!«
»Ich habe noch keine gemacht.«
»Keine Skizzen? Du bist verrückt! Julius wird ungeduldig. Jeden Tag fragt er, wo du steckst. Pietro Perugino hat ihm erzählt, du hättest Angst vor der Farbe …«
Ich lachte.
Wie konnte Gian Antonio wissen, dass die Divinarum rerum notitia – das ›Erkennen des Göttlichen‹ das farbigste Fresko sein würde, das ich jemals zuvor entworfen hatte: Es sollte gemalt werden in den Farben des Glaubens, des Wissens und des Staunens.
Lange nach Mitternacht saß ich in der Biblioteca Vaticana. Müde blätterte ich durch meine Skizzen für das Fresko, unfähig, mich davon loszureißen. Wie in den vergangenen Wochen! Wie oft hatte Eleonora sich beklagt, wie oft geschwiegen, als sie neben mir lag. Eleonora!
Ich hatte versucht, mich von den Federzeichnungen loszureißen, aber sie ließen mir keine Ruhe. Am Rand eines Skizzenblattes mit dem ernsten Antlitz von Francesco fand ich das erste Sonett, das ich vor Wochen an Eleonora geschrieben hatte. Mein Blick flog über die vier Verse des Sonetts, und erneut stiegen Gefühle in mir auf, die ich lieber vergessen wollte.
Aber ich konnte meinen Blick nicht von den Zeilen lösen: ›Das Meer und alle Ströme konnten nicht die Flammen in mir löschen …‹ Ich hatte die Verse hingekritzelt, um meine irrenden Gedanken loszuwerden. Aber es war unmöglich gewesen. Ich liebte Eleonora. Sie liebte mich. Wir hatten uns getroffen, heimlich, nachts. Wir hatten uns nach Mitternacht durch den stillen Vatikan getastet, waren an der Schweizer Garde vorbei geschlichen, um uns heimlich in den verlassenen Räumen Papst Alexanders zu treffen. Unter den Augen Cesare und Lucrezia Borgias in Pinturicchios Fresko in der Sala dei Santi hatten wir uns geliebt. Und dann … das Ende des ersten Sonetts: ›Zu viel Glück stürzt ins Verderben!‹
Immer noch spürte ich Eleonoras nackte Haut auf meiner Haut, ihre Lippen auf meinen. Wir hatten uns so leidenschaftlich geliebt, als könnte jedes Mal das letzte sein. Die Furcht vor der Entdeckung war erregend gewesen.
Ich stöhnte. Wie sehr ich sie vermisste!
›Sie sprach nicht viel, doch wusste sie zu handeln.‹ Sie hatte übermütig gelächelt, als ich ihr eines Nachts im Schein der Kerze neben dem Bett diesen Vers vorlas. »Du bist ein wirklicher Uomo Universale: göttlicher Maler, genialer Architekt und begnadeter Dichter. Und in der Kunst der Liebe einem Adonis ebenbürtig«, hatte sie mich geneckt. Dann hatte sie mir bewiesen, wie unwiderstehlich Aphrodite selbst die Kunst der Verführung beherrschte …
In jener Nacht hatten wir zum ersten Mal von der Trennung gesprochen. Sie hatte mir gesagt, dass sie wenige Tage später mit Francesco Rom verlassen würde. Er hatte sich mit seinem Onkel versöhnt und würde nach Urbino zurückkehren. Sie würde mit ihm gehen …
Ich blätterte durch meine Skizzen und fand den Entwurf des letzten Sonetts. Ich hatte mich nach ihrer Abreise in die Arbeit an der Erkenntnis des Göttlichen gestürzt, tagelang, nächtelang. Meine Affäre mit Eleonora endete mit der letzten Zeile des Sonetts: ›Ich riss mich los, es war, als sollte ich sterben.‹
Das waren meine Gedanken und meine Gefühle, als ich mich von Eleonora und Francesco verabschiedete. Mein Freund und ich waren uns nach unserem Streit in den Stanzen aus dem Weg gegangen. Zu schmerzhaft war das Zerbrechen unserer Freundschaft.
Ein paar Tage nach Eleonoras und Francescos Abreise nach Urbino ließ Julius die von Pinturicchio ausgemalten Räume des verhassten Borgia-Papstes endgültig zumauern.
Nichts blieb.
Nichts als die Erinnerung an Eleonora …
… und wenige Tage später der Zweifel und die Schuld über das begangene Unrecht an Francesco.
Wie sehr musste ich ihn mit meiner
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