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Der Fürst der Maler

Der Fürst der Maler

Titel: Der Fürst der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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sagte sie so leise, dass ich sie kaum verstehen konnte. »Und ich liebe dich.«
    Ich starrte Felice überrascht an und versuchte, in der Dämmerung ihr Gesicht zu erkennen.
    »Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken, seit wir uns in Urbino zuletzt sahen. Sehr viel Zeit. Endlose, einsame Nächte, in denen sich mein Gemahl mit Giulia Farnese vergnügte.« Die ersten Worte kamen zögerlich, doch dann brach es kataraktisch aus ihr hervor. »Ich habe oft an unsere erste Nacht gedacht! Wie sehr hatte ich dich geliebt! Welche Hoffnungen hatte ich mir gemacht, dich eines Tages wiederzusehen! Dann las ich deine Nachricht in Augustinus’ Confessiones. Ich hielt Girolamo in meinen Armen und habe geweint. Tagelang, nächtelang. Ich habe geweint, bis ich keine Tränen mehr hatte. Und dann unser Wiedersehen in Urbino … ein Funken der Hoffnung! Als ich deine Hand hielt, da war alles vergessen, Raffaello. All die Monate, in denen wir uns nicht gesehen hatten. All die Worte, die Verwirrung, die Verzweiflung – alles war vergessen. In einem einzigen Augenblick. Du hast meinen Ring getragen. Ich war so glücklich! Und dann …«, seufzte Felice, »… dann habe ich dich gesehen mit Eleonora und deinem Sohn auf dem Arm. Ich habe die Liebe in ihren Augen gesehen …«
    »Bis zu diesem Augenblick wusste ich nicht, dass Luca mein Sohn war.«
    »Du weißt so vieles nicht, Raffaello«, seufzte Felice. »Und ich glaube, du willst es gar nicht wissen. Weil das Wissen deinen Glauben an die Freiheit zerstören würde.« Sie weinte lautlos, lehnte ihr tränennasses Gesicht gegen meine Brust.
    Ich legte meinen Arm um ihre zuckenden Schultern. Was sollte ich darauf antworten? Zart küsste ich sie auf die Lippen, und sie antwortete mir, schlang ihre Arme um mich.
    Ich weiß nicht mehr, wie lange wir so saßen und uns aneinander festhielten. Die Zeit schien stehen geblieben – für einen Moment oder für die Ewigkeit.
    »Ich habe nicht das Recht, dir deinen Glauben an deine Freiheit zu nehmen, Raffaello«, schluchzte sie.
    Dann entwand sie sich meiner Umarmung und rannte aus dem Saal.

    Die Friedensverhandlungen zwischen dem Herzog von Urbino und dem Papst dauerten über eine Woche. Die erbittert geführten Wortgefechte der beiden temperamentvollen della Rovere konnte ich bis in die Biblioteca Vaticana hören, wo ich die ersten Skizzen für die Fresken in der Stanza della Segnatura entwarf.
    In der Stanza konnte ich nicht in Ruhe arbeiten, weil Gio’, Gianni und die neuen Schüler Giulio Romano, Perino del Vaga, Raffaellino del Colle und Polidoro da Caravaggio begonnen hatten, die Fresken Piero della Francescas mit Hammer und Schlageisen von den Wänden zu hauen. Gian Antonio Sodoma hatte sich über den unerträglichen Lärm und den Staub beschwert und war tagelang der Arbeit an der Decke ferngeblieben. Während er sich von seiner Muse Thalia inspirieren ließ, erforschte ich die dunkelsten und staubigsten Ecken der vatikanischen Bibliothek.
    Monsignor Inghirami half mir bei der Recherche für die Entwürfe meiner Fresken. Geduldig trug er einen Folianten nach dem anderen zu meinem Lesepult. »Alles, was einem italienischen Humanisten heilig ist: das Neue Testament in der Übersetzung von Erasmus von Rotterdam und Dante Alighieris Göttliche Komödie «, lachte er, als er die Bücher auf dem Tisch aufstapelte.
    Ich las die Briefe des Heiligen Clemens von Rom und des Märtyrers Ignatius von Antiochia, die Bücher der Apologeten Tatianus und Aristides, die gnostischen Schriften des Marcion und Apelles, Origenes’ De Principiis, Francesco von Assisis Sonnengesang, die Schriften der Kirchenväter Gregor, Hieronymus, Ambrosius und Aurelius Augustinus’ De Trinitate, die Schriften von Albertus Magnus und des Doctor Angelicus Thomas von Aquin, die fanatischen Predigten Fra Savonarolas, apokryphe Paulus-Briefe, mystische Wundererzählungen. Ich machte mehr Notizen als Zeichnungen.
    Immer wieder blätterte ich in meiner Skizzenmappe, die auf dem Tisch neben mir ausgebreitet lag, fand Porträts von Fra Angelico, Dante Alighieri, Leonardo da Vinci und Donato Bramante, die ich vor Jahren in Florenz angefertigt hatte.
    Doch welches Gesicht sollte Christus selbst haben?
    Zunächst hatte ich geplant, auf dem ersten Bild eine Dreifaltigkeit darzustellen wie in dem unvollendeten Fresko der Trinità von San Severo in Perugia. Doch ich verwarf diese Idee wieder. Ich wollte etwas Neues schaffen, das die Betrachter staunen ließ. Ich wollte das Staunen, die Frohe

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