Der Fürst der Maler
lächelte vergnügt. Die griechische Dichterin Sappho hatte sich wegen der unerwiderten Liebe des Jünglings Phaon von einem Felsen gestürzt. »Nein«, flüsterte ich amüsiert zurück. Es versprach, eine interessante Nacht zu werden. »Ich bin nicht Phaon. Ich werde nicht vor dir weglaufen.«
Dazu wäre ich ohnehin nicht in der Lage gewesen – ich hatte mehr als einen Becher Wein zu viel getrunken.
»Das ist gut«, hauchte sie und küsste mich erneut. Ihre Lippen waren ebenso fordernd wie die Hand, die das Laken fortschob.
Hatte sie Erfahrungen mit flüchtenden Liebhabern gemacht?
Ich lag still und ließ sie gewähren.
Still, wie bei einem Gebet, erforschte ich meine Gefühle, die so intensiv waren, dass sie mit Worten kaum angedeutet werden konnten. Ich suchte ein Gefühl jenseits dessen, was ich bisher erlebt hatte. Funkelnder als das Diamantflimmern der Sterne zwischen den Schneewolken, leiser als das Rieseln der Schneeflocken, betörender als der Duft von Rosen. Das Wort Verlangen ist zu schwach für das Gefühl, das sie in mir weckte. Selbst pure Lust war noch zu schal. Ich war berauscht – nicht nur vom Wein, sondern von ihr!
Zutiefst aufgewühlt erforschte ich dieses fremdartige, hitzige Gefühl. Ich schloss die Augen und genoss ihre Berührungen auf meiner Haut. Mein Entzücken wuchs, bis ich es kaum noch aushalten konnte. Ich brauchte mich nur ein wenig unter ihr zu bewegen, um die Lust zu lodernden Flammen anzufachen. Sie lag auf mir, ihre schlanken Beine, ihr flacher Bauch, ihre Brüste, alles setzte mich in Flammen.
»Ich liebe dich«, hauchte sie.
Wie oft hatte ich diese abgegriffenen Worte schon gehört. Sie bedeuteten mir nichts mehr.
»Du liebst mich nicht«, flüsterte ich zurück. »Du kennst mich nicht, also kannst du mich nicht lieben.«
Sie lachte leise. »Ich kenne dich besser als du dich selbst. Und trotzdem liebe ich dich.«
»Wer bist du?«, fragte ich.
Sie verschloss meine Lippen mit einem Kuss und drückte mich in die Kissen zurück.
Ich hatte die Kunst der Liebe mit der Kunst der Malerei verglichen. Doch diese Nacht mit Sappho war ein Grundkurs in der Poetik des Aristoteles! In Mimesis, der Spiegelung der Wirklichkeit, und Katharsis, der Läuterung. Aber das war pure Theorie.
Sappho gestaltete ihre Lehrstunde in meinem Bett sehr praktisch. Sie lehrte mich den richtigen Rhythmus, erst langsam und zärtlich, dann schneller und fordernder und zeigte mir die Emphase, die Intensität, die Betonung. Ihre Finger, ihre Lippen trieben mich fast in den Wahnsinn. Jedes Mal, wenn ich kurz vor der Erlösung stand, hielt sie inne und tat genau das Gegenteil von dem, was ich erwartet … ersehnt hätte. Sie überraschte mich, und ich genoss es. Dann beschleunigte sie ihren Rhythmus, ließ mich nicht zur Ruhe kommen, streichelte mich, küsste mich, schlug mich und trieb mich immer weiter vorwärts, bis es kein Zurück mehr gab.
Die Klimax, der orgiastische Höhepunkt, war so gewaltig, so erschütternd, dass meine Arme und Beine zitterten, als sie sich neben mich rollte. Ich war unfähig, mich zu bewegen, und genoss den Nachklang der Lust. Jedes Wort war überflüssig. Wir lagen eine Weile schweigend nebeneinander.
Dann sagte ich: »Du bist Sappho. Dich will ich malen.«
Ihr Kopf lag an meiner Schulter, als sie flüsterte: »Ich bin Sappho. Aber du bist nicht mein Phaon. Du hast dich mir hingegeben, aber du warst die ganze Zeit nicht bei mir. An wen hast du gedacht?«
Ihre Frage nahm mir den Atem. Woher wusste sie …?
»Du bist verliebt«, raunte sie in mein Ohr.
»Ja, ich bin verliebt«, gestand ich leise.
»In wen?«
»In jemanden, der mich hasst.«
Sie ergriff meine rechte Hand und drehte den Ring an meinem Finger. Felices Ring. Sie schwieg eine Weile, dann fragte sie. »Bist du sicher, dass sie dich hasst?«
»Ich habe sie gedemütigt. Ich habe meine Freiheit über ihre Liebe gestellt. Sie muss mich hassen.«
»Hat sie es dir gesagt?«
»Nicht mit Worten.« Ich dachte an Felices Worte: ›Ich habe nicht das Recht, dir deinen Glauben an deine Freiheit zu nehmen, Raffaello‹. Nein, das Recht hat niemand, kein Geliebter und kein Freund. Aber der Geliebte könnte seine Freiheit aufgeben, für einen Augenblick in der Ewigkeit …
»Hat sie dich verletzt?« Ihre Stimme klang atemlos, nicht nur wegen des Flüsterns.
Ohne zu zögern, sagte ich: »Ja.«
»Und obwohl sie dir wehtut, liebst du sie?«
»Ja.«
»Glaubst du nicht, dass sie auch dich liebt, obwohl du ihr wehgetan
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