Der Fürst der Maler
Zauberlehrlings, der im ersten Lehrjahr seinen Maestro übertraf. Das Bild des jungen, selbstbewussten Malers, der Florenz im Sturm nahm. Sie vergessen dabei nur allzu gerne, dass Talent nichts mit göttlicher Inspiration zu tun hat und dass Erfolg nichts anderes ist als harte Arbeit: Tausende von Gedanken und Ideen, Hunderte von Zeichnungen und Entwürfen, Dutzende von Änderungen und zerrissene Skizzen – für ein einziges Bild!«
»Das Bild deines Lebens, Raffaello«, sagte Michelangelo zynisch. »Nicht du malst es in deinen klaren Farben, sondern sie porträtieren dich: mit Blattgoldhintergrund!«
Ich hatte meine Freiheit gewonnen! Doch zu welchem Preis?
Ich hatte alle verloren, die ich liebte. Violetta. Clarissa. Fioretta. Eleonora war in Urbino, unerreichbar fern. Und Felice? Ich habe meine Freunde verloren, die wirklichen Freunde. Francesco. Taddeo. Leonardo war in Mailand, um seinen eigenen Traum von Freiheit zu verwirklichen. Und Michelangelo?
Er hatte mich beobachtet. Er spürte, was in mir vorging. »Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt und doch Schaden an seiner Seele nimmt?«, zitierte er das Markus-Evangelium. »Du willst geliebt werden! Aber ihre Liebe, ihre Bewunderung kann dich nicht wärmen. Du erfrierst vor Einsamkeit.« Er hatte meine Hand ergriffen und flüsterte. »Ich friere auch, Raffaello.«
Kapitel 12
Ich, Raffaello
S till lag ich in meinem Bett und lauschte auf die Geräusche der Nacht.
Das Knacken der verglimmenden Feuerglut im Kamin.
Das Rascheln der seidenen Laken.
Dann leise Schritte auf der Treppe.
Gianni hatte beim Abendessen geheimnisvoll gelächelt. »Ich habe ein Modell für die Sappho im Numine Afflatur gefunden«, hatte er mir versprochen. »Sie wird heute Abend kommen.«
Seit einigen Wochen war ich auf der Suche nach einer schönen Frau, die ich als Sappho malen wollte. Gianni kannte meine Vorlieben genau, aber keines der mir vorgestellten Modelle entsprach meinen Wünschen. Sie waren alle hübsch, anmutig, liebenswert – auf ihre Art. Aber sie waren nicht die Sappho, die ich malen wollte. Seit einigen Wochen suchte Gianni aus der großen Zahl meiner Verehrerinnen die Modelle aus, die er mir ins Bett schickte. Ich durfte die Modelle nicht sehen. Ich durfte sie nur riechen, schmecken, hören, fühlen. Und lieben.
So konnte ich meine Idee von Schönheit malen.
»Ist sie schön?«, hatte ich neugierig gefragt.
»Sie hat den Körper einer Aphrodite des Bildhauers Apollonios. Goldenes Haar, Augen wie Smaragde, Lippen wie Rosenblätter. Du wirst sie nackt malen wollen. Sie war maskiert, Raffaello«, hatte Gianni geduldig erklärt. »Aber ich habe viel Fantasie …«
Gianni öffnete die Tür. Im flackernden Schein seiner Kerze sah ich sein zufrieden lächelndes Gesicht. Er schob eine junge Frau vor sich her in den Raum. Das Licht war hinter ihr, sodass ich sie nicht erkennen konnte. Gianni schloss die Tür, und es war wieder dunkel im Schlafzimmer.
Eine Weile stand sie still neben der Tür, als wüsste sie nicht, was von ihr erwartet wurde. Dann hörte ich das leise Rascheln der Atlasseide ihres Kleides und den Tritt ihrer Schuhe auf dem Marmorboden. Sie kam langsam näher. Aber nicht verschüchtert und unsicher wie jene Sappho der letzten Nacht, die sich vor lauter Aufregung an den Worten ihrer eigenen Gedichte verschluckt hätte. Wer immer die junge Frau war, sie schien zu wissen, auf was sie sich einließ. Und was sie selbst wollte.
Umso besser, dachte ich. Es versprach, eine befriedigende Nacht zu werden.
In die Kissen gelehnt, erwartete ich sie.
Am Rand des Bettes, kaum eine Armlänge von mir entfernt, blieb sie stehen. Sie nahm die Maske ab und warf sie auf die Laken. Perlen klickten aufeinander, dann das leise Rascheln eines Seidenbandes, als sie ihr Mieder aufschnürte.
Ich sah ihr dabei zu, wie sie sich schweigend entkleidete – ohne in der Dunkelheit wirklich etwas erkennen zu können außer bewegten Schatten. Ich roch ihr Profumo, den betörenden Duft von Rosen, als sie ihr Kleid zu Boden gleiten ließ. Dann öffnete sie ihr Haar.
Ich richtete mich auf und tastete nach ihrer Hand. Ihre Finger waren kalt. Gianni hatte sie nicht in den Salone geführt, damit sie sich erst am Kaminfeuer aufwärmen konnte, bevor sie zu mir kam. Ich zog sie zu mir auf das Bett. Sie legte sich neben mich, ihre langen Haare streiften meine Brust.
»Ich bin Sappho«, hauchte sie mir ins Ohr und küsste mich. »Bist du mein geliebter Phaon?«
Ich
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