Der Fürst der Maler
allein zu sein und um ihm ein paar passende Worte zu sagen. Möglicherweise wäre das sogar eine bessere Therapie für Julius gewesen als die Aderlässe des Medicus: Francescos Temperament hätte ihn ins Leben zurückgeholt. Francesco war wütend, weil er sich hilflos fühlte. Das war ein Gefühl, das er bisher nicht kennen gelernt hatte – nicht einmal, als er nach dem Mord an Gian Andrea Bravo in den Palazzo Ducale von Urbino zurückkehrte und sein Leben in meiner Hand lag.
Fioretta war in Tränen aufgelöst, obwohl ihr Onkel sie vor Jahren gezwungen hatte, Venanzio da Varano von Camerino zu heiraten. Die Ehe war nicht nur unglücklich gewesen, sondern endete auch gewaltsam mit der Hinrichtung ihres Gemahls durch Cesare Borgia. Fioretta liebte ihren Onkel Giuliano über alles. Wie schaffte es Julius, sämtliche Kardinäle gegen sich aufzubringen, mit Ferrara, Mantua, Venedig, Mailand und Urbino Krieg zu führen und von den Frauen seiner Umgebung angebetet zu werden: von seiner Geliebten Lucrezia, von seinen Töchtern Giulia, Clarice und Felice, seiner Nichte Fioretta und Eleonora?
Taddeo hielt Fioretta im Arm. Oder hielt er sich an ihr fest? Seine Mundwinkel zuckten verbittert, als er Julius auf dem Sterbebett betrachtete. Woran dachte er? An seine ›Investition‹ von fast hunderttausend Dukaten in den Krieg gegen Ferrara und seine französischen Verbündeten, der endgültig verloren war, wenn Julius starb? Der Verlust würde ihn nicht ruinieren, aber er war sehr schmerzhaft und würde ihn in seinem Konkurrenzkampf mit Agostino Chigi um die Vorherrschaft im Ablasshandel um Jahre zurückwerfen. Aber selbst das konnte Taddeo noch mit einem verkniffenen Lächeln hinnehmen, wenn nicht sogar seine Ehe mit Fioretta della Rovere sinnlos geworden wäre. Fioretta war die Nichte des sterbenden Papstes und die Schwester des abgesetzten Herzogs von Urbino. Als Spielfigur auf dem Spielbrett der Macht war sie innerhalb weniger Stunden für Taddeo wertlos geworden. Nicht einmal einen Erben hatte sie ihm geschenkt. Taddeo war der Verlierer in diesem Spiel.
Gian Giordano Orsinis Blick ruhte nachdenklich auf der halb leeren Karaffe und dem halb gefüllten Wasserglas auf dem Tisch neben dem Bett des Papstes. Er hatte sich gut im Griff, ließ sich keinen seiner zweifelnden Gedanken in den Augen oder an den Lippen ablesen. Er stand hoch aufgerichtet am Fußende des Bettes und wich meinem Blick aus. Was glaubte er, warum ich hier war?
Kardinal Rafaele Riario trug keine Soutane, sondern eine elegante schwarze Robe, und ich fragte mich, wo man ihn gefunden hatte, um ihm die Nachricht vom Hinscheiden seines Cousins zu überbringen. Mit geballten Fäusten sah er zu, wie dem Papst das Leben zwischen den Fingern zerrann. Viel zu früh – nicht für Giuliano della Rovere, sondern für Rafaele. Rafaele Riario hatte nicht genug Stimmen im Konsistorium, um das bevorstehende Konklave mit der weißen Soutane verlassen zu können.
Felice saß auf dem Bett ihres Vaters und hielt seine kalte Hand. Sie küsste den Papst auf die Stirn und murmelte ihm ein paar liebevolle Worte ins Ohr, doch auch sie drangen nicht bis in die düsteren Nebel des Vergessens und rissen ihn aus seiner Bewusstlosigkeit. Sie war zu sehr die Tochter ihres Vaters, als dass sie seinen Tod mit Fassung tragen konnte. Felice würde sich immer gegen das Würfelspiel Gottes auflehnen – bis zum letzten Atemzug. Sie war ebenso zornig über die Unvermeidlichkeit des Schicksals wie ihr Cousin Francesco. Sie erhob sich, als Giovanni sich dem Bett näherte, um die Letzte Ölung durchzuführen.
Giovanni de’ Medici war nicht anzumerken, was er dachte oder fühlte. Giovanni war ein Vulkan von Gefühlen – er besaß eine ekstatische Leidenschaft für Literatur, Musik und Malerei, eine spontane, explosive Begeisterungsfähigkeit für alles Ungewöhnliche und aus dem Rahmen Fallende, und eine unbändige Freude am Schönen, Guten und Wahren. Aber dieser Vulkan war heute mit einer dicken Schicht Eis und Schnee bedeckt, und kein Wölkchen über dem Vulkankegel verriet seine wahren Gefühle. Nach der Letzten Ölung erhob er sich, schlug das Kreuz über Julius und trat zurück in die Reihe der Trauernden.
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür des Schlafzimmers und einer von Paris de Grassis’ Sekretären betrat leise den Raum. Paris sah ihn irritiert über die Störung an und folgte ihm für einen Augenblick nach draußen in die Loggia, während Giovanni eine kurze Rede hielt,
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