Der Fürst der Maler
die er offensichtlich vorbereitet und auswendig gelernt hatte.
Die Lobeshymne auf Papst Julius II ., die Miniatur des Epos seines Lebens, war in einem eleganten Latein gedrechselt, das Cicero den blanken Neid ins Gesicht getrieben hätte. Während ich noch darüber nachdachte, wann Giovanni die Rede wohl verfasst hatte, betrat Paris de Grassis wieder den Raum.
»Was ist los?«, fragte Giovanni irritiert, als er Paris’ Gesichtsausdruck sah.
»Die Franzosen sind vor drei Tagen in Rimini einmarschiert, Euer Eminenz. Die Venezianer haben sie nicht aufgehalten. Sie sind jetzt auf dem Weg nach Pesaro. Zwischen dem französischen Heerlager und Rom steht nur noch das Herzogtum Urbino.« Paris raufte sich die kurzen Haare, die nicht seiner Tonsur zum Opfer gefallen waren. Er war ein hervorragender Schauspieler.
Francesco war bleich geworden. Er drehte sich zu Giovanni um. »Ich bin der Einzige, der Rom und Urbino vor der französischen Invasion schützen kann, Eminenz. Ihr müsst mich freilassen! Ich werde das Heer …«
»Nein, Signor della Rovere«, unterbrach ihn Giovanni kalt. »Der Mordprozess ist noch nicht abgeschlossen, das Urteil ist noch nicht gefällt. Im Augenblick seid Ihr weder Herzog von Urbino noch Bannerträger der Kirche. Ihr werdet in Euren Palazzo zurückkehren und auf eine neue Vorladung des Tribunals warten.«
»Aber …«, begann Francesco.
»Und Ihr werdet Euch bemühen, mich nicht zu verärgern«, übertönte ihn Giovanni.
Taddeo legte Francesco den Arm um die Schultern, um ihn vor einer erneuten Provokation des nach dem bevorstehenden Tode seines Onkels mächtigsten Kardinals zu bewahren – des neuen Papstes.
Taddeo war bei der Nachricht vom Vormarsch der Invasionstruppen genauso zusammengezuckt wie Agostino. Wenn Urbino fiel, dann war die Einnahme von Florenz für König Louis nur noch ein Spaziergang am Arno. Niccolò Machiavelli hatte es in all den Jahren als Staatssekretär der Republik nicht geschafft, Piero Soderini von der Wichtigkeit eines stehenden Heeres zu überzeugen. Und der Condottiere von Florenz war – Francesco della Rovere. Die Republik stand also hilflos mit dem Rücken an der Wand, sollte König Louis auf die Idee kommen, sich Leonardos und Michelangelos berühmte Fresken im Großen Ratssaal der Signoria anzusehen. Wenn Florenz fiel, verlor Taddeo alles. Wenn Florenz fiel, fiel auch Rom, und Agostino konnte sich einen Schlafplatz unter einer der Brücken Roms suchen. Denn wozu brauchte der König von Frankreich den Bankier des Papstes, wenn er doch nur sein immenses Vermögen zu konfiszieren brauchte, um seinen Weitermarsch nach Neapel zu finanzieren?
Gian Giordano Orsini trat einen Schritt vor. »Euer Eminenz, ich war unter Papst Alexander ein Condottiere des päpstlichen Heeres. Jahrelang habe ich Seite an Seite mit Herzog Cesare in der Romagna gekämpft. Ich könnte Rom verteidigen.« Er warf Francesco einen Blick zu. »Und natürlich Urbino«, ergänzte er lässig.
Francesco wäre fast auf ihn losgegangen, aber Taddeo verstärkte seinen Griff um seine Schultern und hielt ihn zurück. Orsinis Absicht war klar: Wenn er es schaffte, die Franzosen in die Lombardei oder gar bis Mailand zurückzudrängen, würde er sich nie mehr aus Urbino zurückziehen. Der neue Papst müsste ihn zum Herzog und Gonfaloniere ernennen.
Giovanni sah Orsini nachdenklich an, dann Francesco. Er schien abzuwägen, welcher Heerführer das größere Problem für die Franzosen und gleichzeitig das kleinere Problem für den nächsten Papst war. Gian Giordano Orsini und Francesco della Rovere waren beide anmaßend, herrschsüchtig und unberechenbar. Und doch waren beide erfolgreiche Feldherren und in ihren Herrschaftsgebieten beim Volk beliebte Fürsten, denn beide verstanden es – anders als die Baglioni von Perugia, die Bentivoglio von Bologna und die Sforza von Mailand – sich ihren Untertanen als freigebige, großmütige und gebildete Fürsten zu zeigen. Beide hatten Niccolò Machiavellis Manuskript des Principe aufmerksam gelesen.
Giovanni zögerte, und ich sandte ein Stoßgebet zum Himmel. Julius hatte den Vizekanzler mehr als ein Mal scherzhaft ›Seine Ängstlichkeit‹ statt ›Seine Eminenz‹ genannt, weil Giovanni manche wichtigen diplomatischen Entscheidungen der Kirche hinauszögerte, bis sie sich von allein erledigt hatten. Julius, der manchmal am liebsten die Ärmel seiner Soutane hochgekrempelt hätte, hatte das einige Male zur Verzweiflung getrieben, worüber sich Giovanni
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