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Der Fürst der Maler

Der Fürst der Maler

Titel: Der Fürst der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Florenz dasselbe Schicksal erleidet wie Prato …«
    »Das wird Giovanni nicht zulassen«, hoffte ich.
    Glaubte ich das eigentlich selbst?
    Michelangelo jedenfalls zweifelte an meinen Worten, obwohl er Giovanni seit seiner Kindheit im Palazzo Medici kannte.

    Es war, als hätte Florenz aufgehört zu existieren. Tagelang hörten wir nichts vom Schicksal unserer Freunde. Kein Brief – keine offizielle Erklärung des Papstes. Nichts. Nichts als Schweigen.
    Michelangelo war so besorgt, dass er keinen Pinselstrich zustande brachte. Die Sixtina war bis auf den Propheten Jonas oberhalb des Altars vollendet. An einigen Sibyllen und Ignudi wollte er noch Übermalungen in Ultramarin und Gold durchführen, ein misslungenes Bronzerelief erneuern, aber er zögerte die Arbeiten immer wieder hinaus, Tag für Tag. Papst Julius hatte ihm eine Frist gesetzt: Allerheiligen. Wenn er bis dahin nicht ›endlich fertig wäre mit dieser verdammten Decke‹ – das waren Julius’ Worte gewesen –, würde Donato Bramante das Gerüst abbauen. Egal, ob Michelangelo noch darauf malte oder nicht. Michelangelo war über die Ungeduld des Papstes so in Rage geraten, dass er Julius herausforderte: »Allerheiligen? In welchem Jahr?«
    Einerseits wollte Michelangelo seine Arbeit in der Sixtina nach vier endlosen Jahren beenden und sich endlich Julius’ Grabmal widmen, andererseits war er unfähig, eine nicht perfekte Arbeit abzuliefern. Der letzte Prophet, Jonas, der perspektivisch der Größte von allen war, sollte genauso schön werden wie der erste Prophet auf der anderen Seite der Kapelle, Sacharja. Aber eben nicht heute oder morgen.
    Mit der Fertigstellung der Cumaeischen Sibylle hatte ich das Fresko der Sibyllen und Engel vollendet und wusste nach Giannis zynischen Worten ›nichts mit meiner Zeit anzufangen‹. So sehr mich die Situation in Florenz und das Schicksal meiner Freunde beunruhigte, so sehr genoss ich doch die wenigen Tage, die ich mir freinahm. Sie waren selten geworden, diese Stunden der Nachdenklichkeit, der Stille, des Nichtstuns und Geschehenlassens. Michelangelo, der in der Sixtina das Schweigen gelernt hatte, teilte diese Zeit mit mir. Wir gingen stundenlang am Tiber spazieren und redeten kein Wort.
    Nach unserem zweiten Spaziergang klebte ein Zettel am Pasquino, der das Epos der erbitterten Feindschaft zwischen Michelangelo und mir in Versform verherrlichte. Diese Spaziergänge am Tiber seien die Friedensverhandlungen der beiden größten Maestros Italiens, die sich über den ›Wettstreit der Propheten‹ zerstritten hatten. Welch ein Unsinn! Ich zerriss den Vers in homerischen Hexametern, den Perino vom Pasquino abgerissen hatte. Wie konnte man das vertraute Schweigen zwischen Michelangelo und mir nur als Wortlosigkeit deuten, als hätten wir uns nichts zu sagen!
    Wir setzten unsere Treffen fort, allen zum Trotz! Wir kletterten über die Ruinen des Forum Romanum und besichtigten die kläglichen Überreste des Colosseums, das Donato Bramante gegen meinen Willen weiter als Steinbruch für die Kathedrale benutzte. Auf dem Rückweg vom Palatin zu meinem Palazzo in der Via Giulia kamen wir an der Bocca della Verità vorbei.
    Es war ein herrlicher Nachmittag im September, und ich lud Michelangelo ein, mit mir in meiner Gartenloggia ein Glas Chianti zu trinken. Wir kehrten zurück zu meinem Palazzo.
    Gianni erwartete mich ungeduldig. Ein Brief war für mich abgegeben worden, von einem Schweizer Gardisten aus dem Vatikan. Das war nicht ungewöhnlich. Wahrscheinlich wollte mich Paris de Grassis erneut daran erinnern, dass die Fresken in den Stanzen noch nicht vollendet waren. Sie waren es gestern nicht, sie waren es heute nicht, und morgen würden sie es auch nicht sein. Ich war ärgerlich, weil ich wusste, dass Julius seinen Zeremonienmeister vorschickte, um mich zur Arbeit zu rufen. Das Intermezzo der Sibyllen und Engel in Sant’Agostino hatte ihn schon maßlos verärgert.
    Ich nahm das gefaltete Pergament in die Hand. Der Brief war nicht von Paris. Ich erkannte das Siegel der Medici. Die feine Schrift mit den weich geschwungenen Versalien auf der Rückseite hatte ich schon hundert Mal gesehen: auf päpstlichen Breves, in improvisierten Versen, auf persönlichen Einladungskarten in den Palazzo Medici. Es war Giovanni de’ Medicis zierliche Handschrift.
    Giovanni hatte mir geschrieben: aus Florenz!
    Michelangelo folgte mir in die Gartenloggia, wo ich mit zitternden Händen das Siegel zerbrach und den Brief entfaltete. Es waren

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