Der Fürst der Maler
flüsterte ich in ihr Ohr.
»Ich lebe mit dem größten aller Maestros zusammen«, flüsterte sie zurück. »Das schärft die Sinne.«
Ich lachte leise.
»Es ist derselbe Gott«, wiederholte sie flüsternd. »Gewaltig in seinem Zorn und doch vergebend. Es ist derselbe Glaube, der euch beide diese Strapazen ertragen lässt. Michelangelo ist abgekämpft. Sieh ihn dir an! Aber du bist nicht weniger erschöpft, Raffaello! Ihr zerreibt euch, als wäret ihr die Farbe, die ihr zum Ruhm Gottes an die Wände des Vatikans malt. Ihr malt eure Visionen mit eurem Blut. Ich verstehe nicht, warum Julius dich einen Ketzer nennt, Raffaello!«
Ich küsste sie in den Nacken. »Das tut er nicht, Eleonora: Er nennt mich einen verdammten Schismatiker!«
Wenige Tage zuvor war Julius wutentbrannt in den Saal neben der Stanza des Heliodor gestürmt, um das Bild zu sehen, an dem ich dort arbeitete: die Vision Ezekiels. Weiß der Himmel, wer ihm davon erzählt hatte! Rafaele Riario? Alessandro Farnese? Julius war davor stehen geblieben und hatte es angestarrt, und im ersten Augenblick dachte ich, er würde in seinem maßlosen Zorn nach dem Dolch unter der Soutane greifen und auf das Bild einstechen. Oder auf mich. »Du hast die Erscheinung Gottes aus dem Buch Ezekiel gemalt!«, hatte er gewettert. »Wer hat dir den Auftrag gegeben?«
»Kardinal de’ Medici, Heiliger Vater.« Giovanni hatte mich in seinem zweiten Brief aus Florenz um dieses kleinformatige Ölbild für sein Arbeitszimmer im Palazzo Medici gebeten.
»Dieser … dieser intrigante Verräter! Und ich Idiot habe ihm vertraut. Und dir habe ich auch vertraut! Ihr habt euch gegen mich verschworen«, hatte er gedonnert, und der Blitz des Bannfluchs war schon am Horizont seiner Gefühle zu erahnen.
»Das ist nicht wahr, Euer Heiligkeit«, hatte ich so ruhig wie möglich gesagt. »Ich habe lediglich die Vision Ezekiels gemalt.« Und ich zitierte für ihn den Propheten: »›Ich sah: Ein Sturmwind kam von Norden und eine große Wolke mit flackerndem Feuer, umgeben von einem hellen Schein. Aus dem Feuer strahlte es wie glänzendes Gold. Mitten darin erschien etwas wie vier Lebewesen. Und das war ihre Gestalt: Sie waren wie Menschen. Und ihre Gesichter sahen aus wie das eines Menschen, eines Löwen, eines Stieres und eines Adlers. Das Feuer gab einen hellen Schein, und aus dem Feuer zuckten Blitze.‹
Heiliger Vater, ich habe die Berufung Ezekiels durch Gott gemalt, wie der Prophet sie aufgeschrieben hat. Ein himmlisches Gewitter in den Farben der Luft, des Feuers und der Erde. Nichts anderes …«
»Unsinn, Raffaello«, hatte er mich zornig unterbrochen. »Das Kirchenschisma hast du gemalt. Wer war denn Ezekiel? Ein ins Babylonische Exil verbannter Tempelpriester! Am Euphrat hat Gott ihn zum Propheten berufen – mit dieser Vision! Geduldig harrte der Prophet in Babylon aus, bis seine Stunde gekommen war, in seine Heimat zurückzukehren. Er verkündete Gottes Gericht über Jerusalem! Nachdem der Tempel erobert und zerstört worden war, verkündete Ezekiel Gottes rettendes Eingreifen. Wie Giovanni de’ Medici den Zorn Gottes über Florenz beschworen hat. Du verdammter Schismatiker hast Kardinal de’ Medici zu einem Propheten der Kirche gemacht! Meiner Kirche!«, brüllte er unbeherrscht.
»Es ist Gottes Kirche«, hatte ich ihm hinterher gerufen, aber er hatte die Tür hinter sich zugeknallt.
Papst Julius, der am Altar der Sixtina die Messe zelebrierte, warf mir während des Gloria in Excelsis Deo einen finsteren Blick zu. Am liebsten hätte er mich wohl durch die Schweizer Garde aus ›seiner‹ Sixtina entfernen lassen. Meine Anwesenheit irritierte ihn. Nach seinem Wutanfall vor wenigen Tagen wegen der Vision hatte er sich für einige Stunden ins Bett legen müssen. Paris de Grassis war abends zu mir gekommen und hatte mir mit besorgtem Gesicht berichtet, wie sehr Julius sich über mich erregt hatte. Der Vulkan hatte Lava gespuckt, bis er leer, bis er völlig erschöpft war. Dann war er in sich zusammengebrochen.
Die Messe ging zu Ende. Papst Julius segnete die Gläubigen, warf einen letzten Blick auf die Vertreibung aus dem Paradies an der Decke und auf Eleonora und mich, und ich konnte seine Gedanken erahnen. Seit Eleonora die süße Frucht ihrer Freiheit gekostet, seit sie sich von Francesco getrennt hatte, sprach Julius kaum ein Wort mit ihr. Und auch ich war seit seinem Schwächeanfall eine Persona non grata. Die Vertreibung aus unserem Paradies war nur noch eine Frage
Weitere Kostenlose Bücher