Der Fürst der Maler
Sonette und komponierte herrliche Lieder, die uns alle entzückten: Sie war meine Sappho! Ich lauschte ihrer melodischen Stimme, wenn sie uns ihre Gedichte vorlas, ich sonnte mich in ihrem Lächeln, wenn sie mich ansah, um zu erforschen, wie mir ihr Lautenspiel gefallen hatte, ich genoss ihre Hand auf meiner Hand, das leise Streicheln, das niemand außer Baldassare Castiglione zu bemerken schien.
Immer seltener fand ich Gelegenheit, an den Künstlertreffen mit Giuliano da Sangallo, Andrea Sansovino, Gian Antonio Sodoma, Baldassare Peruzzi und Bastiano und Nino da Sangallo in Bramantes Wohnung im Palazzo del Belvedere teilzunehmen.
Eines Tages fragte mich Michelangelo spöttisch bei einem unserer Mittagessen in der Trattoria Paradiso, ob ich Sebastiano Luciani nicht nur als Maler, sondern nun auch als Dichter Konkurrenz machen wollte. Ich hatte ihn freundlich angelächelt, aber keiner Antwort gewürdigt. Ich fand die dramatische Inszenierung der Entscheidungsschlacht der Engel Lucifer und Raphael lächerlich! Das sagte ich ihm mit deutlichen Worten. Er war so wütend, dass er mit einem zornigen ›Va all’ inferno!‹ aufstand und ging – wahrscheinlich zu Luciani, denn am nächsten Morgen hing wieder ein gehässiger Vers am Pasquino …
Im Spätsommer erhielt ich nach langer Zeit wieder einen Brief von Niccolò Machiavelli – aus seiner Villa in Casciano. Giovanni hatte ihn freigelassen, als sich herausstellte, dass er an der Verschwörung gegen Giuliano de’ Medici nicht teilgenommen hatte. Niccolò hatte endlich das Manuskript des Principe beendet und einen Drucker gefunden, der das Werk veröffentlichen wollte! Er war über seinen eigenen Schatten gesprungen und hatte den Principe Lorenzino de’ Medici gewidmet, dem neuen Regenten von Florenz.
Trotz seiner Verbannung aus Florenz nach Casciano war Niccolò glücklich. Sein überschwänglicher Brief endete mit den Worten: »Am schnellsten gelangt man ins Paradies, wenn man den Weg durch die Hölle nimmt.«
Ich dachte an Niccolòs Worte, als ich vor dem Portal der Santa Maria del Popolo in den Sattel meines Pferdes stieg. Ich war müde und erschöpft und sehnte mich nach einem freien Tag. Eigentlich hatte ich mit Agostino Chigi nach Tivoli reiten wollen. Warum, zum Teufel, war ich in Rom geblieben?
Giulio Romano wartete geduldig, bis ich ihm meine volle Aufmerksamkeit widmete. »Maestro? Ist es dir recht, wenn ich jetzt in die Stanzen zurückkehre, um dort die Ausmeißelung von Papst Julius’ Porträt in der Begegnung Leos und Attilas zu überwachen? Wenn der Schutt weggeräumt ist, kann Raffaellino um Mitternacht mit dem Verputzen anfangen. Dann kannst du morgen bei Sonnenaufgang das Porträt Papst Leos in die frisch verputzte Fläche einfügen. Die Entwürfe liegen bereit. Dein Terminkalender …«
Ich stöhnte. »Verschone mich mit meinem Terminkalender, Giulio! Sag Gianni, dass ich gerne mal wieder einen freien Tag hätte. Und sag ihm, dass ich unter einem freien Tag einen Tag verstehe, an dem ich für niemanden zu sprechen bin. Nicht für Kardinäle, nicht für Herzöge, und schon gar nicht für Päpste.«
»Papst Leo erwartet, dass sein Porträt schnellstmöglich in das Fresko eingefügt wird …«, erinnerte mich Giulio.
»›Schnellstmöglich‹ im Sprachgebrauch von Giovanni de’ Medici heißt: sofort. In meiner Definition heißt ›schnellstmöglich‹: sobald ich kann!«, fauchte ich Giulio an. »Seiner Heiligkeit ist wohl entfallen, wie viele Aufträge er mir übertragen hat. Die Freskierung der dritten Stanza, zwei große Säle, drei Loggien, zwei Kardinalswohnungen für Bernardo da Bibbiena und Giulio de’ Medici, die Fresken in der Villa Magliana, Altarbilder, Porträts, Madonnen mit Bambino Gesù. Um all das zu schaffen, müsste ich unsterblich sein.«
»Gianni sagte gestern beim Abendessen, er hätte noch ein paar Gehilfen eingestellt. Und jeder von uns Maestros wird noch drei oder vier Schüler zusätzlich in die Lehre nehmen. Damit haben wir mehr als zweihundert Mitarbeiter, die …«
»Zweihundert Mitarbeiter«, unterbrach ich ihn unwirsch. »Die Hälfte davon sind Kupferstecher, Bildhauer, Architekten und Farbenreiber! Will Gianni dem Bildhauer Lorenzetto oder dem Kupferstecher Marcantonio Raimondi den Freskopinsel in die Hand drücken?«
»Fra Bartolomeo könnte uns mit seinen Gehilfen unterstützen …«, begann Giulio vorsichtig.
»Bartolomeo freskiert meine Villa auf dem Pincio.«
»Aber er könnte uns in den Loggien
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