Der Fürst der Maler
helfen …«
»Nein«, unterbrach ich Giulio ungeduldig.
Ich war es leid, in einer Baustelle zu wohnen, und wollte Bartolomeos Fresken in meinem Schlafzimmer so schnell wie möglich fertig gestellt haben. Wie sehnte ich mich nach ein paar Tagen Ruhe! Ohne das unablässige Hämmern an Holzgerüsten, das Schaben und Kratzen der Kellen, die den Freskomörtel auftrugen, das durchdringende Knirschen der Steinmörser, mit denen Farben gerieben wurden. Selbst der leise Atem der Männer, die am Fresko arbeiteten, ging mir auf die Nerven. Erschöpft sehnte ich mich nach Ruhe. Und Stille! Einer Stille, die mir neue Kraft geben konnte, damit ich meine eigenen Gedanken endlich wieder verstehen konnte.
»Was ist mit Francesco Alfani aus Perugia?«, fragte Giulio.
»Er wird die Filiale in Perugia leiten und für den Handel mit Repliken meiner Gemälde in ganz Italien zuständig sein. Im Übrigen hat er keine Erfahrungen mit Freskomalerei. Und die anderen, Gianbattista und Matteo, werden mit ihren Schülern nach Florenz und Venedig gehen und dort Filialen eröffnen. Und Paolo habe ich wegen seiner Griechischkenntnisse nach Athen und weiter nach Constantinopolis geschickt – er wird dort Skizzen der antiken Bauwerke für mich anfertigen.«
Giulio seufzte. »Die Aussendung der Jünger!« Er nahm die Zügel seines Pferdes in die Hand. »Dann werde ich jetzt in die Stanzen zurückkehren und heute Nacht das Ausmeißeln von Julius’ Antlitz überwachen. Um Mitternacht wird sich Paris de Grassis bei mir über den Lärm beschweren und dass Seine Heiligkeit keinen Schlaf finden kann! Ich werde freundlich lächeln, mich für den Krach entschuldigen und auf meine eigene Nachtruhe verzichten, damit mein Papst und mein Maestro zufrieden sind.«
Giulio wendete sein Pferd, bevor ich etwas sagen konnte. Er war genauso am Ende seiner Kraft wie ich selbst. Wir waren ständig in Rom unterwegs, von einer Baustelle zum nächsten Fresko. Es war einfach zu viel zu tun!
Erst vor kurzem hatte Giulio, der nur noch als mein Assistent arbeitete, der mich begleitete, mich entlastete, mir aufdringliche Auftraggeber wie Herzog Alfonso d’Este und seine tyrannische Schwester Isabella d’Este und um Skizzen bittende Künstler vom Hals hielt, der meine Madonnen und Porträts in meiner Manier zu Ende führte, wenn ich dafür keine Zeit hatte, den Wunsch geäußert, hin und wieder ein Bild in seinem eigenen Stil zu malen, ohne dass ich den letzten retouchierenden Pinselstrich an seinen Bildern ausführte oder seine Bilder mit meinem Namen signierte. Ich verstand ihn nur zu gut. Er wollte den Weg gehen, den ich vor ihm gegangen war: den Weg in die künstlerische Freiheit, in die Entfaltung des eigenen Stils. Sein Wunsch tat mir weh. Aber was mich noch mehr schmerzte, war das Wissen, dass Giulio Romano – im Gegensatz zu allen anderen – diesen Weg gehen konnte. Eines Tages würde er das Dogma – meine Manier – überwinden, und er würde seinen eigenen Stil finden. Eines Tages …
… aber nicht jetzt!
Ich lenkte mein Pferd über die schmale Piazza vor der Kirche Santa Maria del Popolo und wandte mich nach Süden. Während ich mit meiner Leibwache aus zehn Schweizer Gardisten die Via di Ripetta entlangritt, zog ich die zusammengerollten Skizzen für die Cappella Chigi aus der Tasche meiner Brokatjacke.
Agostino hatte mir im Sommer den Auftrag gegeben, seine Grabkapelle im linken Seitenschiff der Augustinerkirche Santa Maria del Popolo an der Porta Flaminia zu entwerfen und zu bauen. Er hatte mir zweitausendfünfhundert Dukaten für dieses Projekt bewilligt, und ich hatte ihm eine Kapelle in weißem und rotem Marmor, mit Bronzefriesen, Goldreliefs, Stuckornamenten, sienesischer Freskofarbe und kostbaren Goldmosaiken entworfen, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte.
Der Blick in die schwerelos wirkende Kuppel eröffnet scheinbar die Perspektive in den blauen Himmel, aus dem Gottvater auf den Betrachter herabsieht – das erhabene Antlitz aus feinstem Mosaik zusammengefügt. Darunter, in den Kuppelfeldern, leiten Engel die Bewegungen der Planeten und die Harmonie der himmlischen Sphären. Agostino und sein Bruder Sigismondo sollten unter zwei Pyramiden aus rotem Marmor zur letzten Ruhe gebettet werden. Die Marmorstatuen der Propheten Jonas und Elia in den Nischen, Symbole für die Auferstehung und die Himmelfahrt, würden nach meinen Entwürfen von meinen Mitarbeitern, den Bildhauern Lorenzetto und Pietro da Ancona, gearbeitet werden.
Die ganze
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