Der Fürst der Maler
sei. Ich sagte: ›Ich bin Leonardo.‹ Und er fragte: ›Welcher Leonardo?‹ Quelle impertinence! Hast du deinen Schülern neben der Malerei keine Manieren beigebracht?«
»Vergib mir, Leonardo! Perino konnte doch nicht wissen, dass du in Rom bist«, lachte ich.
Ich stellte mir die Szene vor, wie Leonardo unangemeldet in der Stanza della Segnatura aufgetaucht war und Perino ihn beinahe hinausgeworfen hätte. Angesichts der drei Porträts von Leonardo als König David im Evangelium, als Platon im Credo und als Homer im Elysion eine ziemliche Frechheit!
»Ich werde mit Perino reden«, versprach ich.
» C’est bien! N’en parlons plus – lass uns von etwas anderem reden. Stundenlang habe ich in den Stanzen auf dich gewartet. Ich war in guter Gesellschaft: Herzog Alfonso d’Este wartete auch auf dich. Er erzählte mir, dass er seit über zwei Jahren auf ein Bild von dir wartet. Beim Papst habe ich dann schneller eine Audienz bekommen als bei dir. Paris de Grassis rief mich zu Papst Leo, der mir sofort eine Stunde seiner kostbaren Zeit schenkte.«
»Hat er dir einen Auftrag gegeben?«, fragte ich.
»Wie könnte er! Du hast doch keine Quadratelle verputzter Wand im Vatikan übrig gelassen, Raffaello mio! Alle Stanzen, Säle, Loggien, Kardinalswohnungen und die Belvedere-Loggia werden von deiner Impresa ausgemalt«, deklamierte er mit verzweifeltem Tonfall. »Ich befürchte, Papst Leo hat mich als seinen Hofnarren eingestellt. Für dreiunddreißig Dukaten im Monat. Er schien mir mehr interessiert an meinen wissenschaftlichen und alchemistischen Experimenten als an meinem Talent als Maler.« Leonardo seufzte. »Als ich von der Audienz bei Seiner Heiligkeit zurückkehrte und auch mein alter Freund Donato Bramante in San Pietro nicht wusste, wo du warst, bin ich weiter durch den Vatikan geirrt. Ich habe Il Bellissimo Gio’ da Udine in der Loggetta getroffen. Gio’ hat mir gesagt, dass ich dich in der Kirche Santa Maria del Popolo finde, wo du eine Kapelle baust. Wer hat eigentlich Gio’s wunderbare schwarze Locken abgeschnitten? Il Bellissimo sieht ja ganz entstellt aus! Ich habe ihn fast nicht wiedererkannt …«
»Die Inquisition«, offenbarte ich ihm.
Seit seiner Befreiung aus der Engelsburg trug Gio’ seine Haare kurz geschnitten. Es war die Buße, die er sich selbst auferlegt hatte, weil er mich unter der Folter verraten hatte. Ich hatte ihm vergeben, er selbst war dazu nicht im Stande …
»Mon Dieu!« Leonardo schnappte nach Luft. War er noch immer in Gio’ verliebt? Als ich keine weitere Erklärung anfügte, führte er die Beschreibung seines vatikanischen Abenteuers fort: »Gerade als ich aufbrechen wollte, um dich zu besuchen, kam deine rechte Hand Giulio Romano an und sagte, du wärest zum Domus Aurea unterwegs. Du wolltest in die Vergangenheit hinabsteigen, um dort in den Grotten ein paar Skizzen für die Loggien zu machen.«
»Ja, das hatte ich vor«, ich deutete auf meinen Skizzenblock.
»Kann ich dich begleiten?«
»Es ist gefährlich«, warnte ich ihn. »Die Grotten sind mit Schutt angefüllt, und die Gewölbe drohen einzustürzen …«
»Rede keinen Unsinn: Das ganze Leben ist lebensgefährlich. Ich bin nur noch vom Tod umgeben, Raffaello. Alle meine Freunde haben mich verlassen: Sandro Botticelli, Amerigo Vespucci, Bernardino Pinturicchio …«
»Bernardino ist tot?«, fragte ich entsetzt.
»Er starb im August in Siena«, erzählte Leonardo. »An einem Fieber, sagte man mir. Er war dein Freund: Es tut mir Leid.«
Ich schwieg betroffen und dachte an meinen Freund und Maestro Pinturicchio, mit dem ich zusammen die Dombibliothek von Siena freskiert hatte. Wie lange war das her? Erst zehn Jahre? Es schien mir eine Ewigkeit zu sein. Und wie lange war es her, dass er zusehen musste, wie ich die Stanzen im Stockwerk über den Räumen Papst Alexanders ausmalte, die er freskiert hatte und die schließlich von Papst Julius zugemauert worden waren.
»Der Tod ist per definitionem das Letzte, was mir in diesem Leben passiert. Bis dahin habe ich die Absicht, diese wundervolle irdische Existenz zu genießen. Da ich ohnehin für ein verrücktes Genie gehalten werde, kann ich tun und lassen, was ich will.« Leonardo sprang auf und reichte mir die Hand, um mir – dem Jüngeren – aufzuhelfen. »Und jetzt komm endlich, Raffaello! Es wird bald dunkel.«
Aus meinem Rucksack zog ich zwei Fackeln, die Leonardo mit einem Zündstein entflammte. Dann gingen wir zum Einstieg in die Grotten des Domus Aurea
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