Der Fürst der Maler
gewesen.
Bramantino legte Leonardo freundschaftlich den Arm um die Schultern. »Damals in Mailand hast du aber nicht gewonnen, Maestro Leonardo.«
»Du aber auch nicht, Maestro Bramantino«, neckte Leonardo den Lieblingsschüler seines verstorbenen Freundes.
»Nein, Leonardo. Aber ich habe schließlich an der Kuppel gebaut «, trumpfte Bramantino auf.
»Na und?«, versuchte Leonardo das letzte Wort zu haben. »Und ich habe an der Kuppel des Doms von Florenz gebaut. Ich bin als Gehilfe ganz nach oben geklettert, als mein Maestro Andrea del Verrocchio 1468 die goldene Kugel auf die Laterne von Brunelleschis Kuppel gesetzt hat.«
Bramantino und Leonardo hatten ihren Spaß daran, die anderen von den Spannungen zwischen Michelangelo und mir abzulenken. Ich war Leonardo dankbar, denn meine Nerven waren seit Tagen gespannt wie die Seile, mit denen die Travertinblöcke hochgezogen wurden.
Auf der Baustelle von San Pietro herrschte das Chaos. Die statischen Berechnungen für die vier Kuppelpfeiler waren falsch gewesen, und die Kuppelvierung drohte trotz aller Notmaßnahmen, die Bramante in den letzten Jahren durchgeführt hatte, einzustürzen. Ich hatte den Statiker entlassen. Es hatte einen gewaltigen Wirbel gegeben. Denn mit ihm war die halbe Bauleitung gegangen, die Bramante aus Mailand, Florenz, Siena, Venedig und Urbino nach Rom geholt hatte. Auch Giuliano da Sangallo hatte bei mir seine Kündigung eingereicht – er wollte nach Florenz zurückkehren. Nino da Sangallo war der Einzige, der bei mir geblieben war. Aber auch er konnte nur die bautechnischen Probleme lösen, nicht die finanziellen. Durch die Ausbesserungen an den erneut reißenden Pfeilern und die Verstärkung der Wände der Seitenschiffe wurde San Pietro zu einem Geldsack mit einem großen Loch. Ein Baufortschritt war seit Monaten nicht mehr erkennbar. Das Einzige, was ich tun konnte, war, den unabwendbar erscheinenden Einsturz der größten Kathedrale der Welt zu verhindern.
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür zum päpstlichen Audienzsaal, und Paris de Grassis winkte uns hinein. Ich folgte Leonardo, Michelangelo und den anderen in den Raum, in dessen Mitte auf einem großen Tisch das Holzmodell einer Kirche aufgestellt war.
Papst Leo saß auf einem Thron am anderen Ende des Raumes und beobachtete unser zögerndes Eintreten durch sein geschliffenes Augenglas. Es schien ihm Vergnügen zu machen, unsere Reaktionen zu beobachten, als wir das Modell erkannten.
»Das ist San Lorenzo in Florenz«, rief Andrea Sansovino überrascht.
» È vero, Maestro Andrea«, gestand der Papst, der sich von seinem Thron erhoben hatte und uns allen seinen Ring zum Kuss hinhielt. »Das ist San Lorenzo, die Kirche der Medici, in der Unser Urgroßvater Cosimo und Unser Großvater Piero und Unser Vater, Lorenzo il Magnifico, begraben liegen. Dieses Holzmodell ist vom Dombaumeister von Florenz, Baccio d’Angelo, entworfen und in seiner Werkstatt hergestellt worden. Wir finden, dass es ein sehr inspirierendes Modell geworden ist, Maestro Baccio.«
»Danke, Heiliger Vater.« Baccio küsste demütig den Ring des Papstes.
»Uns liegt diese Kirche sehr am Herzen. Sie steht direkt neben dem Palazzo Medici. Im Inneren ist sie ein architektonisches Meisterwerk von Filippo Brunelleschi, und von außen … von außen sieht sie aus wie ein unverputzter Kuhstall. Wir wollen, dass sich das ändert. Deshalb haben Wir euch gerufen, damit ihr, die besten Architekten Italiens, Uns Vorschläge für eine Marmorfassade für San Lorenzo vorlegt.«
»Wer wird der Bauleiter von San Lorenzo sein?«, fragte Andrea Sansovino und sah Baccio d’Angelo an, der als Dombaumeister von Florenz der wahrscheinlichste Kandidat für die Umsetzung war, da er als Einziger in Florenz arbeitete.
»Der Gewinner des Wettbewerbs wird die Bauleitung erhalten. Und ein Gehalt von einhundert Fiorini«, erklärte Giovanni. Er setzte sich auf seinen Sessel und lächelte: »Monatlich.«
Michelangelo verharrte nachdenklich vor dem Holzmodell von San Lorenzo. Wahrscheinlich rechnete er sich aus, wie lange er für die Skizzen und Baupläne und das Brechen des Marmors in Carrara, Prato und Seravezza benötigte. Und für die Errichtung der Fassade. Und wie viele Jahre bis zur Vollendung des Moses, des Paulus und der anderen vierzig Figuren für das Grabmal von Papst Julius vergehen würden. Und was war mit den Marmoraposteln für Santa Maria del Fiore, von denen nur der Matthäus unvollendet in seiner Bottega in
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