Der Fürst der Maler
Florenz herumstand? Die anderen elf Figuren hatte Michelangelo noch nicht einmal entworfen! Und er wollte sich ernsthaft an diesem Wettbewerb beteiligen?
Leonardo hatte sein Notizbuch hervorgeholt und kritzelte bereits einen Entwurf für San Lorenzo mit dem Kohlestift. Er hatte keine Verpflichtungen in Rom und konnte jederzeit nach Florenz zurückkehren, ohne die Schlacht von Anghiari zu Ende führen zu müssen.
Baldassare Peruzzi stand unschlüssig vor dem Modell. Ich sah den Ehrgeiz in seinen Augen funkeln. Er hatte in Rom unzählige Bauprojekte von Palazzi und Kirchen und konnte unmöglich eine weitere Bauleitung in Florenz übernehmen. Und dennoch reizte ihn die Fassade von San Lorenzo.
Dasselbe Funkeln sah ich in Andrea Sansovinos Augen. Er hatte in den letzten Jahren Kapellen gebaut und Grabmäler für Kardinäle in Marmor gemeißelt. Eine Rückkehr nach Florenz, um sich mit den größten Architekten Italiens zu messen, wäre für ihn eine Herausforderung.
Und ich selbst? Ich hatte neben der Bauleitung für San Pietro und ein halbes Dutzend weiterer Kirchen im florentinischen und venezianischen Viertel überhaupt keine Zeit, mich mit der Fassade von San Lorenzo zu beschäftigen. San Lorenzo wäre nur ein weiteres Ärgernis, um das ich mich nicht einmal selbst kümmern könnte – ich konnte Rom nicht verlassen, bevor die Bauprobleme von San Pietro nicht gelöst waren. Das Gehalt von hundert Fiorini monatlich reizte mich nicht. Warum auch? Ich war neben Agostino Chigi und Bindo Altoviti der reichste Mann Roms.
Warum, zum Teufel, dachte ich also ernsthaft darüber nach, mich an dem Wettbewerb zu beteiligen?
Ich wusste die Antwort.
Und er wusste sie auch, als er mich ansah.
Michelangelo lächelte nicht, als er die Herausforderung zum Kampf der Erzengel annahm.
Kapitel 18
Das Märchen von Amor und Psyche
D as neue Jahr begann in Rom mit einem Freudenschrei!
Denn am 1. Januar 1515 starb König Louis XII . von Frankreich, der Eroberer von Mailand und Neapel, der Sieger der Schlachten von Agnadello und Ravenna, Mitglied der Heiligen Liga von Cambrai und Feind des Papstes.
Sein Nachfolger wurde der zwanzigjährige François, der sich Le Premier – der Erste – nannte. Aber nicht, weil er hoffte, dass ihm viele Könige gleichen Namens nachfolgten, sondern weil er sich für einen Auserwählten hielt.
François’ erster Gedanke galt nicht Frankreich, sondern Italien. Giuliano de’ Medici reiste nach Amboise an den Hof des französischen Königs, um sich mit dessen siebzehnjähriger Tante Filiberta von Savoyen zu vermählen. König François ernannte Giuliano, den er liebevoll ›seinen Onkel Julien‹ nannte, nach den aufwändigen Hochzeitsfeierlichkeiten zum Herzog von Nemours.
Papst Leo strahlte, als ihm die Nachricht überbracht wurde, dass sein Bruder nun Herzog war. Hatte er seine ehrgeizigen Pläne fallen gelassen, Giuliano zum Herzog von Urbino zu machen?
Während König François I. wenige Wochen später seinen Marschall Trivulzio über die Alpen schickte, um Mailand zu erobern und die zurückgekehrten Sforza zu vertreiben, ließ Papst Leo den vor vier Jahren so abrupt unterbrochenen Prozess gegen Francesco della Rovere wegen des Mordes an Kardinal Alidosi wieder aufnehmen. Das Urteil Papst Julius’ über seinen Neffen wurde für nichtig erklärt. Giovanni de’ Medici übernahm erneut selbst den Vorsitz des Tribunals gegen Francesco.
Der Signor della Rovere wurde durch einen Kardinallegaten davon in Kenntnis gesetzt, dass der Mord an Kardinal Alidosi – mit oder ohne päpstliche Absolution – seine Herrschaft als Herzog von Urbino im Namen der Kirche unmöglich mache. Er wurde aufgefordert, sich umgehend nach Rom zu begeben, um sich für seine Tat zu verantworten.
Francesco weigerte sich, den Weg nach Rom in die Engelsburg anzutreten. Er sei von Gottes Gnaden Herzog von Urbino, und kein florentinischer Emporkömmling könne ihn daran hindern, es auch zu bleiben. Papst Leo drohte ihm mit seiner Exkommunikation und forderte Francesco auf, sich ihm zu unterwerfen. Die Antwort des Herzogs von Urbino war kurz: »Nein! Nicht ohne schriftliche Zusicherung der persönlichen Sicherheit.« Darauf antwortete der Papst, dass er damit einverstanden sei, der Herzogin Eleonora, dem urbinischen Botschafter Baldassare Castiglione oder dem Freund Seiner Exzellenz, Monsignor Raffaello Santi, das geforderte Versprechen zu geben. Auf das Ehrenwort eines Medici könne der Herzog sich verlassen, denn wenn der
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