Der Fürst der Maler
gesessen.
Eleonora! Seit unserer wortlosen Auseinandersetzung und ihrer überstürzten Flucht zurück ins Kloster vergrub ich mich in einer Flut von Skizzen, Bildentwürfen und ertränkte mich in Farbe. Ich malte von Sonnenaufgang bis zum letzten Licht des Tages, manchmal noch bei Kerzenschein, bis mir die Augen tränten. Nur um nicht an sie zu denken. Nur um sie nicht zu fühlen. Ihren Körper, ihre Hände, ihre Lippen. Dio mio! Wieso hatte ich sie gehen lassen?
»Maestro? Der Brief …«, begann der Diener erneut.
Ich ließ den Pinsel sinken.
Ein Brief? Hatte Eleonora mir geschrieben? Hatte sie mir vergeben? Gab es noch eine Hoffnung auf eine Versöhnung?
Ungestüm riss ich dem Diener das gefaltete Pergament aus der Hand. Die Vorderseite war an mich adressiert: ›Raphael Santi, Magister Artium, Florentia‹. Der Brief war mit rotem Wachs verschlossen. Das Siegel trug das Wappen der Familie della Rovere.
Meine Finger zitterten.
Felice! Meine geliebte Felice!
Ich zerbrach das Siegel und entfaltete den Brief.
»Liebster Freund!«, las ich und erkannte Francescos temperamentvolle Handschrift. »Das Leben in Urbino ist furchtbar langweilig, seit du beschlossen hast, Florenz mit deinem Pinsel zu erobern. Ich hatte gehofft, während der letzten Monate einen Brief von dir zu erhalten, musste aber vergeblich warten.
Stattdessen erhielt ich einen Brief von Felice mit den bestürzenden Neuigkeiten des geplanten Attentates auf Onkel Giuliano und Onkel Guido. Sie schrieb, wie ihr euch kennen gelernt hattet – welch göttliche Komödie! Und wie du Felice die Nachricht über Orsinis Pläne zukommen ließest – welche Ironie, dem Attentäter selbst diese Nachricht mitzugeben! Seine Heiligkeit und Seine Gnaden sind dir sehr dankbar für deine Initiative. Orsini musste aus der Engelsburg entlassen werden – ihm war nichts nachzuweisen!
Du fragst: Was gibt es Neues in Urbino? Onkel Guido rüstet als Gonfaloniere der Kirche zu einem Feldzug gegen die Romagna, um den Widerstand der Anhänger Cesare Borgias zu brechen und die Festungen zurückzuerobern. Vielleicht werde ich ihn begleiten. Vielleicht auch nicht, denn als Signore von Senigallia und – höre und staune! – Präfekt von Rom muss ich mich in den nächsten Wochen in beiden Städten sehen lassen. Cesare Borgia ist immer noch der Gefangene des Papstes. Ich würde mir den ›gezähmten Drachen‹ gerne einmal aus der Nähe ansehen …
Ein Cousin von Onkel Francesco Gonzaga, dem Marchese von Mantua, ist derzeit Gast im Palazzo Ducale: Baldassare Castiglione schreibt ein amüsantes Buch, das er Il Libro del Cortegiano nennt. Es ist schade, dass Castiglione Urbino schon bald wieder verlässt, denn Onkel Guido hat ihn auserwählt, König Henry VII . in London deinen Heiligen Georg mit dem Drachen zu überreichen.
Ich vermisse dich. Unsere wilden Ausritte, unsere Duelle mit Wort und Schwert. Und die nächtlichen Exkursionen in fremde Betten. Wann kommst du zurück? Tante Elisabetta will dir einen Auftrag für ein Porträt geben: Du sollst mich malen. Stell dir vor, ich werde eine meiner Cousinen aus Mantua heiraten!
Und was hört man aus Rom? Felices Ehe mit Gian Giordano Orsini scheint eine von Onkel Giulianos strategischen Fehlentscheidungen gewesen zu sein. Seine Heiligkeit sollte sich lieber auf seine Eroberungspläne konzentrieren und die Colonna und Orsini mit dem blanken Schwert in Schach halten, als seine Tochter einem Orsini ins Bett zu legen. Wenn auch nicht seinen hinterhältigen Dolch, so scheint Felice doch zumindest seine ungestüme Männlichkeit zu beherrschen, denn sie ist benedicta, wie Onkel Giuliano sagen würde. In wenigen Wochen wird sie Orsini einen Sohn schenken …«
Francescos Brief entglitt meiner Hand.
Felice war schwanger!
Mit einem Mal begriff ich die wirkliche Bedeutung des Wortes Enttäuschung. Es war nicht nur ein lähmendes, schmerzhaftes Gefühl, sondern die Erkenntnis, dass ich mich einer Täuschung hingegeben hatte. Der Illusion einer Liebe, die zum Scheitern verurteilt war. Wie hatte ich annehmen können, dass die Contessa Orsini mich liebte!
Der Traum von einer gemeinsamen Zukunft zerschmetterte an der Person, die fortan zwischen uns stehen würde: Gian Giordano Orsinis Kind.
Ohne Francescos Zeilen zu Ende zu lesen, zerknüllte ich wütend seinen Brief und warf ihn ins Feuer des Kamins.
Taddeo und Baccio bemühten sich erfolglos, mir in den folgenden Tagen mehr als einsilbige Worte zu entringen. Geduldig ertrugen sie
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