Der Fürst der Maler
Gefühle zu beherrschen.
Einen Augenblick ließ ich ihn gewähren, dann legte ich ihm sanft die Hand auf die zuckenden Schultern und zog ihn tröstend an mich. Er lehnte sich an meine Brust. Ich spürte seinen Atem an meinem Hals, seine Tränen nässten mein Gesicht.
Dann küsste er mich auf den Mund, fordernd, durstig. Und er hielt mich fest in seinen Armen. Er nahm sich, was ich ihm verwehrte. »Ich liebe dich, Raffaello«, flüsterte er. »Erlöse mich von meinem Leiden.«
Er trank von meinen Lippen wie ein Verdurstender. Seine Zunge huschte über meinen Mund, seine Zähne bissen in meine Lippen.
Ich war zutiefst erregt. Erstarrt zu einem Eisblock, aber innerlich bewegt wie glühende Lava. Wie sehr ich mich nach seiner Liebe sehnte! Ich wollte in seine Gedanken eintauchen, mich in ihn versenken, mich in ihm spiegeln. Ich wollte dasselbe wie er!
Mein Stillhalten deutete er als Zustimmung. Mit leidenschaftlichen Küssen und fordernden Händen setzte er die Erforschung meines Körpers fort.
Feuer und Eis rann durch meine Adern. Ich zitterte vor Erregung, und meine Seele brannte.
Seine Hände fuhren unter mein Hemd und begannen mich zu streicheln. Zärtlich. Fordernd. Seine Gefühle überwältigten mich.
Wieder küsste er mich. »Erlöse mich«, flüsterte er.
Ich stieß ihn zurück und erhob mich.
Er sah zu mir hoch.
Es war etwas in seinem Blick, das ich nie vergessen werde: Verzweiflung über die Maßlosigkeit seiner Gefühle.
Tagelang war ich ihm aus dem Weg gegangen, hatte ich mich in meinen Skizzen und Entwürfen vergraben, um nicht an das zu denken, was zwischen uns geschehen war.
Ich hatte mich so sehr nach seiner Liebe gesehnt, dass ich mich ihm beinahe hingegeben hätte. Mit Leib und Seele.
Ich war betroffen. Über meine eigene Erregung. Und wie sehr ich seine Berührungen genossen hatte. Aber noch bestürzter war ich über meinen Zorn, als ich ihn zurückgewiesen hatte. Als ich vor ihm geflohen war.
Tagelang war ich ihm aus dem Weg gegangen, doch dann traf ich Michelangelo im Hof der Signoria, wo ich mit Piero Soderini über einen Auftrag für ein Madonnenbild gesprochen hatte. Er war beim Gonfaloniere gewesen, um sich eine Zahlungsanweisung für einen Vorschuss für die Schlacht von Cascina abzuholen.
Keiner von uns wusste, was er sagen sollte, und so überquerten wir schweigend die Piazza. Wie ein Gespräch beginnen – ohne ein ›Wie geht es dir?‹ oder ein nichts sagendes ›Es tut mir Leid, was ich dir angetan habe!‹. Und doch waren wir beide empfindsam genug, um zu wissen, was der andere dachte und fühlte.
Wir gingen am Arno entlang zur Banca Spini, wo Michelangelo die Zahlungsanweisung einlösen wollte.
Die Banca Spini war bekannt dafür, dass sie Auszahlungen auch in Fiorini tätigte, seit sich Leonardo eines Tages furchtbar aufgeregt hatte, als ihm der Kassierer als Vorschuss für die Schlacht von Anghiari einen Beutel mit Kupfermünzen aushändigen wollte. Er sei doch kein Handwerker, der für ein paar Soldi arbeite, soll Leonardo ausgerufen haben. Am selben Abend hatte er mir die Karikatur des Bankangestellten gezeigt, der auf Anweisung des Filialleiters ›dem größten Künstler Italiens‹ blankpolierte Fiorini d’Oro ausgezahlt hatte.
Auf der Hälfte des Weges zwischen dem Ponte Vecchio und dem Ponte Santa Trinità blieb ich stehen. »Es ist besser, wenn du zuerst das Fresko beendest, bevor du nach Rom gehst«, begann ich. »Ganz Florenz wartet darauf.«
»Unsinn, Raffaello! Das sagst du nur, um mich zu trösten! In Wirklichkeit lachen sie alle über mich«, ereiferte er sich.
»Wer lacht über dich?«, fragte ich sanft.
»Alle! Allen voran Andrea Sansovino. Hast du nicht sein Gesicht gesehen, als ich gestern Abend Giulianos Brief vorgelesen habe?«
Am Vortag war ein Brief von Giuliano da Sangallo eingetroffen, den Papst Julius wenige Wochen zuvor nach Rom berufen hatte. Michelangelo hatte seinen Brief noch am selben Abend während einer unserer Dispute in Baccios Werkstatt vorgelesen.
Giuliano berichtete von seiner Ankunft in Rom und dem freundlichen Empfang, den ihm der Papst bereitet hatte. Er schrieb, dass er Julius von Michelangelos David erzählt habe, und von der Pietà in der alten Basilika von San Pietro. Seine Heiligkeit habe versprochen, sich die Pietà bei nächster Gelegenheit anzusehen.
Michelangelo hatte den Brief sinken lassen, und ich hatte ihm die Besorgnis um sein Werk angesehen. San Pietro drohte einzustürzen – Teile der Jahrhunderte alten
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