Der Fürst der Maler
huldigen: der Freiheit. Ich hatte Taddeo in seinem Allerheiligsten – dem Kontor seiner Bank – aufgesucht und ihm mitgeteilt, dass ich eine Werkstatt gefunden hatte und aus dem Palazzo Taddei ausziehen würde.
»Freiheit – wovon?«, hatte Taddeo gefragt. »Der Mensch ist niemals frei! Nicht, solange er Geld verdienen muss, um zu überleben. Nicht, solange er einen anderen Menschen liebt …«
Aus Dankbarkeit für seine Gastfreundschaft überließ ich Taddeo ein Madonnenbild und verweigerte stur die Annahme einer Bezahlung.
Am nächsten Morgen bezog ich mit meiner Staffelei, meinen Farben und Pinseln, meinen Skizzen und Zeichenstiften eine Bottega in der Via dell’ Inferno in der Nähe der Palazzi der Familien Strozzi und Rucellai. Das Haus, in dem ich meine Werkstatt einrichtete, gehörte der Familie Strozzi. Angelo Donis Gemahlin Maddalena hatte ihren Vater Giovanni Strozzi gebeten, mich dort zu einer lächerlich geringen Miete arbeiten zu lassen. Maddalenas Liebesträume zerplatzten allerdings wie Seifenblasen, als ich mein Bett in der Werkstatt aufstellen ließ. Die Szene, die sie mir machte, hätte von Boccaccio stammen können. Aber ihre Tränen waren echt.
Nach Savonarolas Fegefeuern der Eitelkeit hatte eine unstillbare Gier nach neuen Kunstwerken die Reichen und Mächtigen erfasst. Das im Feuer Vernichtete sollte ersetzt werden: schöner, kostbarer, auffälliger. Die Gold- und Silberschmiede und die Gemmenschneider stellten so viel Schmuck her wie noch nie zuvor. Die Schneiderinnen, Stickerinnen und Handschuhmacher konnten sich vor Aufträgen kaum retten, und selbst die Geigenbauer hatten kaum fertige Lauten oder Violas vor ihren Werkstätten hängen, weil sie die Instrumente schneller verkauften, als sie sie herstellen konnten. Aber besonders groß war die Nachfrage nach Andachtsbildern, nach Madonnen mit Jesuskind, nach Porträts.
Meine Werkstatt wurde nach Michelangelos Abreise nach Rom und weiter in die Marmorbrüche von Carrara innerhalb weniger Wochen zum Treffpunkt der Kunstliebhaber von Florenz. In den letzten Monaten hatte ich an unzähligen Banketten und Empfängen der Nobiltà von Florenz teilgenommen, nicht nur an den geheimen Treffen im Palazzo Medici, sondern auch im Speisesaal des Principe oder der Signoria. Piero Soderinis einflussreiche Freunde zählten ebenso zu meinen Auftraggebern wie die Gilden, und sogar der Gonfaloniere hatte ein Bild bei mir bestellt.
Ich hatte mir den Ruf erworben, schnell und zuverlässig zu arbeiten und keines meiner Bilder unvollendet zu lassen. Mit jeder Madonna, die ich malte, steigerte sich die Ausdruckskraft ihrer … meiner Gefühle. Sie faszinierten diejenigen, die mit offenem Mund davor stehen blieben, denn sie waren anders als alles, was zuvor von Pietro Perugino oder Filippino Lippi erschaffen worden war. Die Figuren wurden freier, bewegter, nachdenklicher – so wie ich!
Ich hielt Hof wie Leonardo, der ›Fürst von Vinci‹. Während ich malte, diskutierte ich mit meinen belesenen Gästen, den reichsten Unternehmern und Bankiers von Florenz, über Gott, die Welt und den Menschen. Ich genoss es, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Ich schwelgte in dem Gefühl, bewundert und geliebt zu werden. Manchmal kam Leonardo für ein paar Stunden mit seiner silbernen Laute in mein Atelier, um der Schlacht von Anghiari zu entfliehen. Er sang mit seiner schönen Stimme französische Lieder von Guillaume Dufay und Antoine Brumel und unterhielt uns mit alchemistischen Experimenten und einer Laterna Magica. Und mein Atelier wurde zur Pilgerstätte der jungen Maler von Florenz. Mein Freund Bastiano da Sangallo besuchte mich ebenso regelmäßig wie Ridolfo Ghirlandaio, der Sohn von Maestro Domenico.
Fra Bartolomeo erschien an manchen Tagen schon vor der Morgenmesse, um die ersten Sonnenstrahlen auszunutzen. Da ich manchmal erst lange nach Mitternacht ins Bett fiel, war ich oft noch ziemlich unausgeschlafen, wenn er mich besuchte. Fra Bartolomeo, lehrte mich nicht nur Meditation und Gebet, sondern auch die Komposition von Figurengruppen. Während die Umbrische Schule des Perugino sich damit begnügte, Figuren nebeneinander zu stellen, ordnete die Florentiner Schule die Figuren in Gruppen, um die Dramatik des Bildes zu steigern. Ich lehrte Bartolomeo die Kunst der Perspektive, die ich von Masaccio gelernt hatte. Unsere Diskussionen bei Sonnenaufgang waren manchmal so anregend, dass der Frater vergaß, zur Morgenmesse ins Kloster zurückzukehren.
Nachdem
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