Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe
Mica seinen Weg zur Küste allein fortsetzte, da sie etwas über ihren Bruder herausgefunden hatte, das es notwendig machte, ihn zu begleiten. Wäre er halbwegs bei klarem Verstand gewesen, hätte er ihrem Plan ohne Weiteres zugestimmt. Je weiter sie von ihm entfernt war, desto leichter kam er mit seinem Verzicht zurande. Allerdings war er viel zu aufgewühlt, um etwas auf seine Vernunft zu geben. Sein Verlangen, sich auf sie zu werfen, ihren Rock hochzuschlagen und tief in sie einzudringen, drückte seine Reißzähne hervor. Zorn kochte auf. Da saß sie ihm gegenüber und bat um seine Erlaubnis. Dabei hatte sie diese nicht nötig. Lamia, und in ihr waren noch genügend Eigenschaften dieser Geschöpfe lebendig, machten ohnehin nur das, was sie für richtig hielten. Ihre Bitte sollte ihn lediglich einbeziehen, da sie seine Antwort bereits kannte. Sie ätzte gleich Silber auf seiner Zunge.
„In Ordnung.“
Jahrzehntelanger Übung war es zu verdanken, dass er ruhig und sachlich klang, obgleich alles in ihm aufbegehrte. Er wollte, dass sie blieb und sich zu ihm legte. Er wollte sie über Nächte und Tage markieren, bis er alles gegeben hatte und sie sein war.
„Es wird nur für wenige Tage sein“, sagte sie nach einem erleichterten Seufzen. „Nur noch diese und die nächste Nacht, dann könnt ihr auf den Schutz des Wagens verzichten.“
Er würde schon morgen darauf verzichten und darauf vertrauen, bis zum nächsten Abend eine andere sichere Unterkunft zu finden. In England gab es etliche Scheunen, in denen er sich verkriechen konnte, und reiste er am Tage auf vier Pfoten, konnte er schneller aufholen.
„Ihr müsst Grishan mitnehmen.“
Es schien eine Eigenheit von ihr zu sein, keine Fragen zu stellen. Vielleicht konnte sie auch seine Gedanken lesen. Heu raschelte, als sie näher zu ihm rückte. Kühle Finger berührten seine Wange. Er schloss die Augen. Bei allen Höllenhunden, es war so verdammt schwer, sie nah zu wissen und nicht berühren zu dürfen. Wenn er sie umarmte, gar küsste, könnte ihn nur noch eine Brechstange von ihr loseisen.
„Nike …“, murmelte er gequält.
Sofort zog sie die Hand zurück. „Grishan wird bald auch mein Sohn sein. Ich werde gut auf ihn achten und ihn mit meinem Leben beschützen.“
Ohne Zweifel würde sie das. Weil sie dazu in der Lage war. Entschlossen und kampfbereit und dazu tückischer als jede Alphawölfin, würde sie sich bei Gefahr vor Grishan stellen. Dazu unterstützt von Mica. Der Junge war bei ihnen besser aufgehoben als bei zwei Männern, die sich bei Tagesanbruch in Wölfe verwandeln würden.
„Geh!“, entfuhr es Juvenal absichtlich barsch. Es war alles gesagt. In einigen Tagen wären sie wieder vereint. Dennoch war es schmerzhaft, denn der Abschied erlaubte keine letzte Berührung. Auch das schien Berenike instinktiv zu wissen. Sie erhob sich, wurde zu einer schlanken Silhouette umgeben von Schwärze.
„Ich zähle die Stunden, bis wir uns wiedersehen“, schwebte ihre Stimme auf ihn zu.
Kurz darauf knarrten die Sprossen der Leiter, hörte er das Quietschen des Scheunentors und war allein. Seine Kehle wurde eng, doch das Jucken auf seiner Haut, ausgelöst von ihrer Nähe, wurde erträglicher und ebbte schließlich vollständig ab. Berenike entfernte sich von ihm. Die Stunden ohne sie senkten sich bereits jetzt auf seinen Brustkorb und drückten auf seine Lungen. Wenn sie vorüber waren, würde er jede Disziplin fahren lassen. Gleichgültig, ob er den Spott eines Vampirs herausforderte oder das Kopfschütteln der anderen Oberhäupter. Er würde sie markieren. Ausgiebig und so gründlich, dass es keinen Zweifel daran geben konnte, wem sie gehörte.
9
B
is in die frühen Morgenstunden liefen sie gen Süden, ohne Rast einzulegen. Längst kamen sie nicht so schnell voran, wie Mica es geplant hatte. Ein Jaguar konnte einen Sterblichen auf langen Strecken an Ausdauer übertrumpfen, doch die Geschwindigkeit des alten Volkes ließ ihn selbst auf kurze Distanz zurückfallen. Berenike passte sich seinen weit ausgreifenden, geschmeidigen Schritten an. In Branwyns Hort hatte sie lediglich einen kurzen Eindruck von Grishan in seiner Tiergestalt erhalten. Nun konnte sie ihn aus nächster Nähe betrachten. Sein Körper war lang und kräftig, die stämmigen Beine mündeten in breiten Tatzen. Atemwolken stiegen aus seinem offenen Maul. Jaguare waren die einzigen Großkatzen, die ihre Beute durch einen Biss in den Schädel töten konnten, und das war seinen langen
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