Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe
hast, ob Juvenal lebt oder stirbt, wärest du dann bereit, ihm dein Blut zu verweigern und ihn zu verlieren?“
Ihr Herz machte einen Satz und holperte unstet in ihrer Brust. Diese Möglichkeit hatte sie außer Acht gelassen, weil sie geglaubt hatte, das Geschenk des Blutes sei ihr genommen worden. Schließlich hatte sie sich stark gewandelt. „Wäre das denn noch möglich?“
„Gewiss. Dein Blut ist dasselbe geblieben, und darum geht es schließlich. Um die Kraft deines Blutes.“
Damit verlor der Tod jede Relevanz. Juvenal musste nicht altern, geschweige denn sterben. Selbstverständlich würde sie ihm das ermöglichen. Es ihm gar gewaltsam aufzwingen, sollte er sich sträuben. Es garantierte eine endlos währende Zweisamkeit an seiner Seite. „Ich würde alles dafür geben, damit er bei mir bleibt.“
„Bestens, dann kannst du uns künftige Vorträge über richtig und falsch ersparen.“
Die Frage seines eigenen Daseins schob er damit beiseite. Entweder maß er seinem Seelenzustand keine Bedeutung bei oder er wollte die Antwort für sich behalten. Dabei war sie seine Schwester und hatte ein Recht, die Wahrheit zu erfahren. Sie wusste, worum es ging. Schließlich war sie lange genug in der Obhut von Selene gewesen. Behütet und abgeschottet und umgeben von dienstbaren Geistern und der Liebe ihrer Mutter. Es war zu wenig gewesen. Stets hatte sie mehr erhofft. Nach einem Dasein gestrebt, wie Mica es führte, ohne zu ahnen, wie dieses Dasein aussah. Juvenal hatte ihr vor Augen geführt, was wirklich zählte. Keineswegs Leidenschaft oder Verlangen. Nein, es war die Gewissheit, jemanden in der Nähe zu wissen, der eine Stütze sein konnte. Jedes Geschöpf brauchte Rückendeckung, ob es nun unsterblich oder sterblich war. All das konnte sie nicht mehr vorbringen, da sie vor dem Gehöft ankamen. Ein Bauernhaus mit einem Stall daneben.
„Im Stall gibt es Fleisch. Es riecht nach Kuh und Hühnern. In einer halben Stunde treffen wir wieder zusammen.“
Damit ließ er sie zurück und spähte durch eines der erleuchteten Fenster, ehe er das Haus betrat. Schreckensschreie bliebenaus. So abgerissen Mica daherkam, seine Fähigkeit, Blutquellen zu bestricken, blieb unabänderlich.
Im Stall fand Berenike eine magere Milchkuh vor. Vier Ziegen leisteten ihr Gesellschaft. Im hinteren Teil schloss sich das Gehege für die Hühner an. Während diese sie missachteten, wurde sie von drei angriffslustigen Gänsen angezischt. Exakt die richtige Anzahl für drei hungrige Männer. Berenike summte eine Melodie, um die Gänse zu beschwichtigen und erlebte eine jähe Hemmung, den Tieren eine Feder zu krümmen. Bestimmt lag es an ihrer Abneigung zu totem Fleisch. Sollte ein anderer ihre Gurgeln umdrehen, sie brachte es auf keinen Fall fertig. Stattdessen fand sie zwei Eier und steckte sie ein, damit Sancho ein Omelett für sie backen konnte. Weder süß noch fruchtig füllte es zumindest ihren Magen. Sofern es bei diesen Bauern überhaupt etwas für ihren Gaumen gab, befand es sich in der Speisekammer des Hauses. Ob Mica daran denken würde? Mit den friedfertig gewordenen Gänsen auf den Fersen kehrte sie in den Hof zurück.
In der Hoffnung, Mica einen Hinweis auf einen Blick in die Speisekammer geben zu können, trat sie an das größte Fenster. Es bot freien Einblick in die Küche, die gleichzeitig als Stube diente. Auf dem Herd stand eine Pfanne, aus der Dampf aufstieg. In einer Wiege nahe dem Feuer schlief ein Kleinkind. Auf einer Bank an der Wand saß der Herr des Hauses. Ein Blick reichte aus, um ihre Hoffnung auf etwas Schmackhaftes aufzugeben. Mica war beschäftigt.
Seine Blutquelle hatte die erste Blüte der Jugend bereits hinter sich, doch ihre runden Wangen versprachen nahrhaftes Blut. Ihre Bauernbluse knüllte sich um ihre Taille. Volle, schwere Brüste wölbten sich knapp über der Tischplatte. Mica hatte die kleine Familie kurz vor dem Abendessen überrascht, denn der Tisch war mit Holzschalen und Löffeln gedeckt. Bei jedem seiner tiefen Stöße erzitterte die Bäuerin. Dennoch war sie weit entfernt von Schmerz. In ihrem schlichten Gesicht waren Überraschung und Entzücken zu erkennen. Sie erlebte den Rausch mit einem Vampir zum ersten Mal in ihrem Leben und vergaß darüber ihren Gatten, der mit geweiteten Augen dabeisaß und die Hände in seinen Schritt presste.
Das einzige Absonderliche an der Szenerie war, dass Berenike außen vor stand. Sie fand nichts Verwerfliches daran. Wären die Dinge anders verlaufen,
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