Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe
sein.“
„Wir müssen ihn aufhalten“, sagte Berenike. „Wenn wir bloß wüssten, wohin er geflohen ist. London ist groß. Er kann überall sein.“
Schon wollte er darauf hinweisen, dass er diesen Verräter jederzeit aufspüren konnte, als Grishan die Hände in die Hüften stemmte und triumphierend grinste.
„Wir wissen bereits, wo er sich versteckt. Ich konnte seiner Spur folgen. Es war leicht. Er hat nichts bemerkt.“
„Du hast was getan?“, stieß Juvenal aus.
„Oh, er war schnell, aber ich auch. Ich war verdammt gut, nicht wahr, Mica?“
„In der Tat, das warst du“, bestätigte Mica, wohl wissend, was er damit herausforderte. Sie alle konnten zusehen, wie Juvenal das Blut zu Kopf stieg. Als eine kleine Ader an seiner Schläfe hervortrat, winselte Melody und klammerte sich an Sancho.
„Du hast Grishan gestern Nacht mitgenommen, Mica“, grollte Juvenal tief aus der Brust. „In ein Irrenhaus. Zu einem Vampir. Mir ist gleich, wer von euch auf welchen beschissenen Titel pocht. Solltest du noch einmal mit dem Leben meines Sohnes spielen …“
„Ich bin nicht dein Sohn!“, begehrte Grishan lautstark auf. „Gilian war der einzige Vater, den ich jemals kannte. Im Gegensatz zu dir wäre er stolz auf mich gewesen. Du kennst nur Zweifel und Vorwürfe. Weshalb mischst du dich überhaupt in mein Leben ein?“
Juvenal öffnete den Mund zu einer Antwort, doch Grishan stiefelte bereits aus der Bibliothek, gefolgt von einem sichtlich geknickten Sancho. Ihrer Stütze beraubt sank Melody auf eine Trittleiter, die an den Bücherregalen lehnte. Mit düsterer Miene stierte Juvenal vor sich hin. Er sah müde aus. So müde, wie Mica sich fühlte. Er musste seinen Blutverlust ausgleichen. Sein Blick schweifte zu Melody. Die Rudelwölfin bot sich dazu an. Überaus appetitlich und von dem Verlangen nach Buße angetrieben. Er könnte es ihr erfüllen. Allerdings war Vorsicht geboten, damit Juvenal nichts mitbekam.
Berenike erhob sich, verschränkte die Arme unter der Brust und streifte durch die Bibliothek. Vor den fest verschlossenen Fensterläden blieb sie stehen.
„Es wird schwierig werden.“
„Wir wissen, wo Branwyn ist. Und ich kenne den Mann, der ihm Unterschlupf bietet. Er heißt Francis Dashwood. Daraus lässt sich etwas machen.“
„Ein Sterblicher, der ihm dient, bringt uns wenig Nutzen.“
„Oh, er ist überaus nützlich. Dashwood hat sich dem Laster verschrieben. Er zelebriert mit seinen Anhängern dekadente Orgien und nennt sie heilige Riten. Dennoch ist er ein überaus intelligenter Mann, der in allem einen Vorteil sucht. Stell dir vor, er glaubt an unsere Existenz. Mit diesem Verdacht und großen Hoffnungen stand er vor Jahren sogar einmal vor meiner Haustür und bot mir eine gewaltige Summe für einen kleinen Flakon meines Blutes.“
„Und was erhielt er?“
„Zwei Maulschellen und einen Arschtritt.“
„Das ist eine großartige Verhandlungsbasis, Mica“, stellte sie fest.
„So sehe ich das auch. Bei Hedonisten schlägt die Suche nach immer neuen Lastern irgendwann in Verzweiflung um. Mit solchen Männern lässt sich immer verhandeln.“
Die spöttische Anekdote munterte Berenike auf. Im Gegensatz zu ihr brütete Juvenal mit verkniffenem Gesicht vor sich hin und hörte nur mit halbem Ohr auf ihre Scherzworte. Der Rest seiner Aufmerksamkeit war auf Berenike gerichtet. Vielmehr auf ihre Fußknöchel, die unter dem zu kurzen Rock zu sehen waren.
„Ich wünschte, Aurora wäre bei uns“, sagte sie und klatschte in die Hände. „Sie könnte das Blatt auf einen Schlag wenden. Selbst die Lamia, sofern sie in London eintreffen, könnte sie in Schach halten. Ihrer Magie müssten sich alle beugen. Wir sollten sie zu uns bitten.“
„Auf die Macht einer Strega müssen wir verzichten, Nike. Bis Aurora London erreicht, würde zu viel Zeit vergehen. Zudem hat sie Rom verlassen, und Ruben behielt für sich, wohin er sie bringen wollte.“
Durch Juvenal ging ein Ruck. „Was hat mein Sohn mit einer Frau zu schaffen, die Magie wirkt?“
Zu spät fiel Mica ein, dass Juvenal nichts über die Geschehnisse in Rom wusste und welche Rolle Ruben darin gespielt hatte. Ehe er es ihm behutsam beibringen konnte, sprudelte Berenike mit der Wahrheit heraus.
„Aurora ist seine Gefährtin. Es gibt keine Strega von größerer Kraft. Aus ihr fließt pure Magie. Und sie ist meine Freundin“, sagte sie stolz.
War zuvor alles Blut in den Kopf des Werwolfs gestiegen, so sackte es nun in seine Füße.
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