Der Funke des Chronos
sind.«
Kristian nickte. Endlich klappte er das Taschenmesser zusammen und verstaute es mit dem Kautabak unter der Sitzfläche des Kutschbocks.
»Weiß dat Mamsell, dat et mit Ihrem Gedächtnisverlust nich wiet her is?«
»Ja, ich habe es ihr auf der Herfahrt gestanden.«
»Gut«, erwiderte er. »Von nu an keene weiteren Fisimatenten. Kann sein, dat de Lewalds Ihnen op den Leim gohn, aber ik behalt sej im Oog. Bekomm ik raus, dat sej een Bedrööger sünn, wo dat op de Penunzen von de Lewalds affseen hett, denn weern sej sick wünschen, dat ik sej güssern in de Gosse hätt liegen lassen.«
In diesem Augenblick öffnete sich die Haustür. Hastig schob sich Tobias das belastende Foto unter das Hemd und strich das lange Haar zurück.
Caroline näherte sich ihnen in Begleitung einer etwa gleichaltrigen jungen Frau mit rundem Gesicht, deren Haar zu zwei seitlichen Kringeln hochgesteckt war. Wie ihre Freundin trug auch sie eine Krinoline mit ausladendem Rock, doch konnte das Korsett nicht verbergen, dass sie einige Pfunde Übergewicht hatte. Die Mollige schob das Kinn energisch nach vorn und musterte ihn prüfend, und zwar aus Augen, die ihn an dunkle Kastanien erinnerten. Tobias machte unbeholfen einen Diener.
»Darf ich vorstellen, Amanda Odermann«, erklärte Caroline. »Und dieser junge Mann hier, das ist Herr Tobias.«
»Angenehm«, antwortete dieser.
»Ganz meinerseits«, erwiderte Amanda in resolutem Tonfall. »Natürlich wollte ich es mir nicht nehmen lassen, unseren Retter von gestern Nacht ebenfalls in Augenschein zu nehmen. Ich muss sagen, Ihre Geschichte klingt ganz schön vigeliensch*.«
Tobias Blick irrlichterte zwischen Caroline und Amanda hin und her. An einer Sache hatte sich in den letzten hundertfünfzig Jahren offenbar wenig verändert: Freundinnen konnten untereinander nichts für sich behalten.
»Ich verspreche, dass ich in wenigen Tagen alles aufklären werde.«
»Natürlich werden Sie das«, stellte Amanda in einem Tonfall fest, der keinen Widerspruch duldete. Übergangslos scheuchte sie eine getigerte Katze zurück ins Haus, die ihren Kopf soeben durch die Tür steckte.
Mit aufmunterndem Lächeln wandte sie sich wieder Caroline zu. »Bis dieser Herr Polizeiaktuar bei uns auftaucht, meine Liebe, habe ich herausgefunden, was derzeit im Stadttheater gespielt wird. Deine ›Räuber‹ können wir nötigenfalls als kleine Spitze auslegen.« Sie lächelte. »Immerhin hat sich dieser Beamte dir gegenüber wie ein Flegel benommen.«
»Nun, ganz so schlimm war es nicht«, lenkte Caroline zaghaft ein.
»Natürlich war es so!« erklärte ihre Freundin bestimmt. »Das wirst du jedenfalls behaupten, falls er dich fragt. So, und jetzt beeilt euch, wenn ihr rechtzeitig beim Empfang deines Vaters eintreffen wollt.«
Die beiden Freundinnen verabschiedeten sich herzlich, und Amanda führte Caroline zur Kutsche. Kaum war sie eingestiegen, wandte sich die Mollige mit gesenkter Stimme an Tobias. »Seien Sie nett zu ihr, haben Sie mich verstanden? Sie mag Sie.«
»Ich habe nichts anderes vor«, antwortete er verblüfft.
»Ich verlasse mich darauf«, fuhr Amanda beschwörend fort. »Die Aufregungen der letzten Nacht waren zuviel für sie. Sorgen Sie dafür, dass sich Caroline schont.«
* Hamburgisch für ›verzwickt‹, ›knifflige, aber auch für ›durchtrieben‹.
»Darf ich fragen, was …?«
»Das muss Ihnen Caroline schon selbst erzählen.« Brüsk wandte sie sich Kristian zu, der schon wieder auf dem Kutschbock saß und die Zügel in der Hand hielt. »Krischaan, du musst mal wieder zum Putzbüddel. Wenn du dein Haar weiter so wachsen lässt, dann hält man dich bald für ’ne Deern.«
Zugleich fassten sich Kristian und Tobias an den Kopf und schauten sich betreten an. Zufrieden, dass ihre Botschaft angekommen war, rauschte Amanda zurück ins Haus.
Der Lewaldsche Kutscher seufzte. »De Franzeuschen hebben ehrn Flintenweibers, wi Hamboorger hebb Amanda Odermann.«
»Krischaan, das hab ich gehört«, vernahmen beide die gedämpfte Stimme Carolines. Tobias musste wider Willen lächeln und stieg ebenfalls ein. Gerade wollte er die Droschkentür zuziehen, als sein Blick erneut auf die beiden Fuhrknechte fiel. Sie hatten ihre Arbeit beendet und füllten zwei Tonkrüge mit Bier. Ein kleiner Anker prangte auf den Gefäßen. Himmel, wie hatte er das vergessen können?
»Mamsell Lewald, erinnern Sie sich noch, dass ich Ihnen von diesem großen Gebäude erzählt habe, das gegenüber dem
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