Der Funke des Chronos
Ebenso wie die Tatsache, warum der Wacher so ausgeruht wirkte.
»Ik will hoffen, dat ik nicht störe, Herr Polizeiaktuar.«
»Nicht doch, komm rein, Borchert.«
Der Dicke schloss die Tür und musterte aufmerksam die Stadtkarte an der Wand. »Sind dat de Orte, wo de Toten legen haben?«
Kettenburg seufzte. »Ja. Hoffen wir, dass wir dem Kerl das Handwerk legen, bevor ich dazu gezwungen bin, die Karte weiter zu perforieren.«
»Ik bin hier, weil ik vermelden wollt, dat wi nu dieses Ding aus dem Fleet in een vun die Dokumentenkellers vun’n Rathaus bracht hebben. Ihr Einverständnis voraussetzt, heff ik drei Mackers im Hafen dormit betraut. Ik weet, dat die de Schnut halten kunn’n.«
»Ich hoffe, das geschah ohne größeres Aufsehen.«
»Natürlich, Herr Polizeiaktuar. De Arbeit wer dohn, bevor de Sünn aufgangen is.«
»Und?« Kettenburg hob gespannt eine Augenbraue. »Was ist das für ein Apparat?«
»Mi dücht, dat sollten Sie sik mol selber anseen. So een Maschin hat noch keener vun uns seen. Wi hebb sie vun all de Modder und Schlick freimacht. Hett een paar Stünnen dauert. Sieht ut wie een Schlitten mit Metallsegel. Is mindestens so merkwürdig wie dies anner Ding, dat ik gestern funnen heff.«
»Ja, das andere Ding …«, wiederholte der Polizeiaktuar nachdenklich und nestelte unwillkürlich an der Westentasche, in der dieses voltaische Wunderwerk steckte, für das sich Justus Lewald so begeistert hatte. Ihm war bei alledem nicht wohl zumute.
»Borchert, irgend etwas Befremdliches geht in unserer Stadt vor.«
Unruhig ging der Polizeiaktuar auf und ab. »Ich will, dass du dich bei den Anwohnern in der Gasse noch einmal umhörst. Einer von denen muss doch etwas mitbekommen haben.«
»Wie ik heut morgen schon seggt heff«, erwiderte der Nachtwächter, »twej vun de Anwohner het een Kampf höört.«
»Dann frag weiter. Vielleicht hat ja auch jemand aus dem Fenster geschaut.«
Zweifelnd sah ihn Borchert an. »Mit Verlaub, ober ik glaube kaum, dat sie uns wat verteilen wem. Die halten dicht, wenn dat gegen de Polizei oder de Uhlen geiht. Kann ik een annern Vorschlach mooken?«
»Einen anderen Vorschlag? Nur zu, mir ist alles recht, was uns in dieser Angelegenheit weiterbringt.«
»Mien Schwager is Portraitmaler. Wenn Sie mi de Erlaubnis geben, denn lass ik ihn een Bild vun dem Toten molen. Wi können dat rumzeigen. Vielleicht bekümm wi so rut, wer dat Opfer is?«
Überrascht blickte Kettenburg auf. Der Vorschlag war nicht schlecht – allerdings: Der Zustand des Toten ließ nicht viel Aussicht auf Erfolg zu. Andererseits war die Lage verzweifelt genug, um jeden Strohhalm zu ergreifen, der sich darbot. »Also gut, meinetwegen. Veranlasse das. Der Tote liegt im Einbeckschen Haus an der Johannisstraße. Er wurde im Anatomischen Theater aufgebahrt.«
Borchert nickte, und der Polizeiaktuar sah ihn plötzlich fragend an. »Aber sag mal, Borchert, ich dachte, dein Schwager sei Schlachter?«
»Stimmt. Dat is de Mann vun mien älteste Schwester«, schmunzelte der Dicke. »Ober de Mann vun Lottchen, mien jüngste Schwester, der is Maler.«
»Gut, sieh zu, was du damit erreichen kannst. Ich werde mich derweil aufmachen und einen Spezialisten konsultieren, um dem Geheimnis unserer beiden Funde auf die Spur zu kommen.«
»Een Spezialist?«
»Ingenieur William Lindley. Er leitet den Bau der Eisenbahn nach Bergedorf. Ich werde mich in einer Viertelstunde zu einem Empfang auf dem Lewaldschen Anwesen an der Elbe aufmachen. Lewald wird mir dort Lindley vorstellen.«
»Justus Lewald?« wollte der Wacher überrascht wissen. Borchert nickte.
»Dat is aber een meerkwördig Zufall.«
»Wie meinst du das?«
»Ja nu, ik hab mi dücht, dat es nich schaden kann, wenn wi een Mann in di Näh vun’n Tatort zurücklassen. Nur für den Fall, dat de Mörder to dem Fundort an Kanal zurückkeern deiht.«
Kettenburg fand den Eifer Borcherts allmählich unheimlich, lauschte ihm aber gespannt.
»Mien Frünnd Jan hat dat för mi übernommen. Sie weeten schon, mien Kamerood von gestern Abend.«
»Ja und?« Der Polizeiaktuar hielt inne.
»Nur Fleetenkieker, Höker, Handweerker im anner unbescholten Bürgers. Jan hett mi aber verteilt, dat so halb zwölf auf de anner Seit vuns Admiralitätszeughaus een Droschk mit een jung Mann im een jungen Deern holten hat. De beiden sünn an Kanal spazeeren gungen. Ebenfalls nich weiter auffällig. Bis auf Krischaan Sillem.«
»Kristian Sillem? Und wer ist das?«
»De Kutscher vun diese
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