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Der Funke des Chronos

Titel: Der Funke des Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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erwerbsmäßigen Stil Speicher aufgebrochen und Ware im Wert von fast zwanzigtausend Mark Courant nach Helgoland geschmuggelt hatten. Von dort aus war das Hehlergut weiter nach England und Dänemark verschifft worden. Kettenburg war sehr stolz auf diesen Ermittlungserfolg. Bis heute schätzte man ihn für sein schnelles und energisches Durchgreifen.
    Derzeit jedoch stapelten sich auf der ledernen Schreibeinlage ungelesene Dokumente und unbeantwortete Briefe. Sie legten davon Zeugnis ab, dass er in den letzten Tagen kaum noch zur Bearbeitung weiterer Fälle gekommen war. Er hasste dieses Durcheinander. Es stand in schmerzlichem Kontrast zu der peniblen Ordnung, die er in seinem Bureau sonst walten ließ. Sehnsüchtig schweifte sein Blick über die Regale, in denen dicht an dicht akkurat beschriftete Ordner standen. Davon abgesehen zierten die Wände des Raums lediglich eine einfache, mit Nadeln gespickte Straßenkarte Hamburgs, die er neben der Tür angeheftet hatte, sowie ein in Glas gerahmtes Polizei-Publicandum »wider das schnelle Fahren von Droschken und Fuhrwerken«. Es machte darauf aufmerksam, dass Zuwiderhandlungen mit Geld- und Leibesstrafen geahndet würden. Kettenburg hatte den Erlass persönlich durchgesetzt, nachdem er im September letzten Jahres bei einem Kutschunfall fast ums Leben gekommen war.
    Doch all das beschäftigte ihn im Augenblick nur am Rande. Er musste diesen mörderischen Unhold finden, der im Stadtgebiet sein Unwesen trieb. Der Polizeiaktuar stellte sich grübelnd vor die Karte der Stadt und fügte den sieben Nadeln, die sie zierten, eine achte hinzu. Jede stand für den Fundort einer der Leichen.
    Was brachte einen Mann dazu, seinen Opfern bei lebendigem Leib den Kopf aufzusagen und sie derart zu Tode zu quälen? Kettenburg wusste es nicht. War es die Tat eines Wahnsinnigen?
    Immerhin, die Erkenntnisse der letzten Nacht wiesen daraufhin, dass sich der Verbrecher vornehmlich im Kirchspiel St. Michaelis herumtrieb. Darauf deuteten auch die beiden Leichen hin, die man in der Hausruine am Brauerknechtgraben gefunden hatte. Kettenburg folgte mit dem Finger dem Verlauf des Fleets am Herrengraben, dort, wo letzte Nacht dieser Karren entdeckt worden war. Der Mörder war offensichtlich dabei gestört worden, den Toten im Kanal zu versenken. Warum hätte er ihn sonst samt Pferd und Karren zurückgelassen? Ob er sich auf diese Weise schon früher einmal einer Leiche entledigt hatte? War dieser Benneke, der einzige andere männliche Tote, den sie bislang gefunden hatten, nicht bei der Elbwasserkunst angespült worden?
    Berücksichtigte man die Strömungsverhältnisse im Kanal, so schien es gut möglich, dass Bennekes Körper über den Rummelhafen in die Elbe getrieben war. Auf diese Weise wäre er dann zur Elbwasserkunst gelangt. Und die anderen Toten? Der Schindanger nahe dem Hornwerk lag zwar vor den Stadtwällen, war aber nicht weit vom Millerntor entfernt – und das gehörte ebenfalls zum Kirchspiel Michaelis. Kettenburgs Verdacht, dass der Mörder genau dort lebte, wurde beinahe zur Gewissheit. Sollte er den Pastor des Michels in die Mordserie einweihen? Die Bevölkerung des Stadtteils musste gewarnt werden. Doch für einen solchen Schritt bedurfte es der Genehmigung von Polizeisenator Binder. Und dem hochweisen Herrn war natürlich nicht daran gelegen, die Mordserie publik zu machen.
    In diesem Augenblick klopfte es an die Tür.
    »Herein.«
    Bordiert, der dicke Nachtwächter von letzter Nacht, stand im Zimmereingang und hielt verlegen eine Schiffermütze gegen den Bauch gepresst. Er trug jetzt zivile Kleidung und war kaum wieder zu erkennen. Seinen auffälligen Bart hatte er auf die Länge einer Fingerkuppe zurechtgestutzt, und das Haar wies einen strengen Mittelscheitel auf, den er sicher vor wenigen Minuten noch einmal nachgezogen hatte. Kettenburg mochte den Uhlen. Gestern Nacht hatte er gezeigt, dass er nicht auf den Kopf gefallen war. Außerdem kannte sich Bordiert im Stadtteil St. Michaelis gut aus.
    Noch in den frühen Morgenstunden hatte Kettenburg den Captain des Nachtwächtercorps darum gebeten, ihm den Mann für den Polizeidienst auszuborgen. Würde sich Borchert gut machen, konnte er sich sogar vorstellen, ihm eine volle Stelle anzubieten. Vielleicht als Polizeiofficiant dritter Klasse? Die ersten Aufträge hatte er dem Nachtwächter bereits mit auf den Weg gegeben. Wie dieser aber trotzdem noch Zeit für seinen Kopfputz gefunden hatte, blieb dem Polizeiaktuar schleierhaft.

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