Der Funke des Chronos
Eilig sammelte Kettenburg einige Akten und Papiere auf und trug sie zu einem Stapel zusammen.
Der Wacher stand währenddessen verlegen im Zimmereingang und schien mit sich zu ringen, ob es höflich wäre, seinem Vorgesetzten Hilfe anzubieten.
»Setz dich. Borchert.« Der Polizeiaktuar zog einladend einen Hocker heran und machte es sich selbst im freigeräumten Ohrensessel bequem.
»Danke.« Schüchtern kratzte sich der Dicke am Hinterkopf. »Ducht mi, dat ik Sie wecken muss. Aber denn heff ik noch Licht seen.«
»Wie du siehst, habe ich mir etwas Arbeit mit nach Hause genommen.«
Der Nachtwächter schaute sich im Zimmer um und nickte ehrfurchtsvoll. Schließlich ließ er sich umständlich auf dem Hocker nieder. Kettenburg sah dem Uhlen an, wie sehr dieser darauf bedacht war, nicht etwa versehentlich etwas umzustoßen.
»Sag mal Borchert, musst du eigentlich nie schlafen?«
»Och«, winkte der Uhle ab. »Ik bin immer lange wach. Is sozusagen een Berufskrankheit, mütt Sie weeten. Dor müssen Sie ersmol mien Schwager seihn, wo Bäcker is. Der kümmt mit vier Stunden Schlaf aus.«
»Bäcker? Borchert, wie viele Schwestern hast du eigentlich?«
»Oh«, der Nachtwächter begann überrascht an den Fingern abzuzählen. »Dat sünn Friederike, Louise, Sophie, Erna un Lottchen. All zusamm, fünf.« Er grinste verlegen. »Aber keen Sorg, Sophie un Erna sünn nich verheiratet. Un bei Erna glaub ik auch nicht, dat sick dor je eener finnen deiht. Der müsst schon breegenklöderig sein. Erna is eher vun de streitlustig Sort.«
Kettenburg verdrehte innerlich die Augen. Immerhin, jetzt hatte er wenigstens Borcherts Familienverhältnisse geklärt.
»Sag schon, was für eine Spur hast du?«
»Also«, holte der Uhle umständlich aus, »i hebb doch versprochen, mien Schwager, also den Mann vun’s Lottchen, zu bitten, uns en Bild vun den Toten to malen. Sie wissen schon, der Portraitmaler.«
»Ah ja, richtig.« Kettenburg musste sich eingestehen, dass er Borcherts gut gemeinten Vorschlag gedanklich bereits ad acta gelegt hatte. Das Gesicht des Toten war bis zur Unkenntlichkeit entstellt gewesen. Es war also kaum vorstellbar, dass dieser Maler bei dem Unterfangen großen Erfolg gehabt hatte.
»Und?«
»Ja nu, ik geb zu, dat ik ni bedücht hab, dat de Tote so gut wi keen Gesicht meer hat.« Unruhig rückte der Uhle auf dem Hocker hin und her. »Georg, wat mien Schwager is, is speiübel worn un denn, ja nu … Er hett sozusagen de Fisch füttert, jusst eben an Land.«
»Schon gut«, seufzte Kettenburg. »Das passiert den stärksten Männern. Aber das wird ja wohl kaum die Spur sein, von der du mir berichten wolltest, oder?«
»Nee, dat is richtig. Georg hett mi aber auf ’ne Idee brocht. Zusammen mit der ›Garwinsch‹, also de Frau, die sich im Einbecksche Haus um de Toten kümmert, hebb wi uns den noch mol anseen. Un dor is uns auffallen, dat er een Tätowierung hett. An rechten Unnerarm. Een Seeschlang, wo sich um een Roos schlängelt.«
Erstaunt sah ihn Borchert an.
»Ja, und?«
»De hett Georg dann abmalt. Un dormit bün ik Nachmiddags durchs Michaelisviertel lauft. Hatte aber keen grooten Erfolg. Bis ik de Bild Jan zeigt hebb.«
»Jan?«
»Mien Kamerad vun gestern. Sie weeten schon, wo Kristian Sillem erkannt hett.«
»Ja, ja. Weiter.« Der Polizeiaktuar rang die Hände und dachte an das kurze Gespräch zurück, das er kurz vor seiner Abfahrt mit Justus Lewald geführt hatte. Zu seinem Erstaunen war der alte Knabe nicht überrascht gewesen, als er ihn auf die unrühmliche Vergangenheit seines Kutschers aufmerksam gemacht hatte.
»’tschuldigung!« lamentierte der dicke Wacher. »Jan jedenfalls meent, dat er de Tätowierung kennen deiht. Er meent, die hat er mal bei eenen von den Luden seen. So’n Zuhälter unten im Hafen.«
Kettenburg runzelte die Stirn. »Woher kennt Jan den?«
»Ja nu, Jan treibt sick dor mannigmool rum. Außerhalb vun de Dienstzeit natürlich.« Entschuldigend fügte Borchert hinzu: »Er kann sick dat ja schlecht dorch de Rippn schwitzen, wenn Sie mi verstohn.«
»Wie heißt der Tote?« hakte Kettenburg kurz angebunden nach.
»Dat wissen wi leider nich. Aber Jan meent, er kennt een, wo uns den Namen von de Zuhälter sagen kunn. De keusche Susanne. Ne Quiddje. De is nich von hier, sonners vun Frankfurt. Hett bis vor kurzem beim Doven Fleet anschafft. Jan meent, sie wer een vun dem sien Pferdchen.«
»Und, habt ihr diese … keusche Susanne gefragt?«
»Geiht nich«, erwiderte
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