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Der Funke des Chronos

Titel: Der Funke des Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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Borchert. »De sitzt seit eenem Johr in’n Zuchthaus. Ohne Sie, Herr Polizeiaktuar, hebb wi dor keen Zutritt.«
    Das Zuchthaus also. Der Polizeiaktuar hob eine Augenbraue. Das Gebäude lag in unmittelbarer Nähe der Binnenalster. Kettenburg hatte es bislang vermieden, den düsteren Bau zu betreten.
    »Sehr gut, Borchert. Sehr gut. Wir werden dieser … keuschen Susanne morgen einen Besuch abstatten. Ich muss mir dazu lediglich eine Genehmigung vom Polizeisenator holen.«
    Er erhob sich, und Borchert tat es ihm sogleich nach. Dabei stieß der dicke Uhle einige Papiere an, und auf dem Boden klapperte es. Kettenburg entdeckte neben dem Tisch seine silberne Taschenuhr. Der Deckel war aufgesprungen und enthüllte ein kunstvolles Ziffernblatt. Bevor es der Polizeiaktuar verhindern konnte, hatte sich Borchert bereits gebückt.
    »Tut mi leid, bün manchmal ’n büschen paddelig …« Der Uhle betrachtete die Taschenuhr und hob überrascht die Brauen. Lächelnd deutete er auf das kleine Porträt, das die Innenseite des Uhrdeckels zierte. Es zeigte eine junge Frau mit braunen Locken, die einen Jungen im Arm hielt.
    »Kiek an, Sie haben also ok Familje? Is dat Ihre Schwester?«
    »Nein.« Kettenburg nahm dem Nachtwächter die Uhr mit versteinerter Miene aus der Hand. »Das ist, äh, meine Frau. Und mein Sohn.«
    »Ach, Sie sünn verheirat, Herr Polizeiaktuar?« Borchert spähte zu den hinteren Räumlichkeiten der Wohnung und flüsterte. »Deiht mi leid, wenn ik zu laut war. Ik hab ja nich wüßt …«
    »Nein, nein. Schon gut.« Kettenburg räusperte sich. »Sie sind tot. Beide. Schon seit acht Jahren.«
    »Oh.« Die Gesichtszüge des Uhlen nahmen einen kummervollen Ausdruck an. »Dat tut mi wirklich leid.«
    Kettenburg hasste es, auf die dunkelste Stunde seines Lebens angesprochen zu werden. Aber in Borcherts Zügen lag keine Spur von aufgesetzter Theatralik, sondern ehrliches Mitgefühl.
    »Sie sind beide ertrunken.« Kettenburg rang nach Worten. »Das geschah bei einem Spaziergang kurz vor Heiligabend. Die Außenalster war zugefroren, und mein Sohn rannte in einem unbedachten Augenblick hinaus aufs Eis. Er ist eingebrochen. Meine Frau und ich haben versucht, ihn zu retten. Aber das Eis vermochte uns ebenfalls nicht zu tragen. Meine Frau ist dabei … tja. Und mich, mich haben sie als einzigen lebend rausgezogen. Hab anschließend noch nicht einmal eine Erkältung gehabt.« Kettenburg lachte freudlos. »Hm, ja. So war das. Aber das ist Vergangenheit. Lange her.«
    Der Polizeiaktuar ließ den Deckel der Uhr zuschnappen und steckte den Chronometer weg. Eine Weile herrschte Schweigen.
    »Wirklich, deiht mi bannig leid«, hub der Wacher nochmals an. »Mien Frau liegt leider ook ünner de Erd. Margarethe un ik hatten uns kennt, seit wi lütte Kinners waren. Sie wohr de ältere Tochter vun unsre Nochborin un ganz siecher die schönste Deern in de ganzen Straße. Sie hat mi nommen, obwohl de Sohn von’n Heringsmakler ihr’n Hof macht hat. Mi, den dicken Jochen.« Borchert lächelte versonnen. »Ik weet bis heut nicht warum. Sie hat ein jeden annern haben kunn. Sie is storben bei de Cholera-Epidemie in’t Johr 1831.«
    Kettenburg nickte. Was hätte er auf die plötzliche Eröffnung des Uhlen auch erwidern sollen? Wenigstens erging sich der Mann nicht in Selbstmitleid.
    »Also, ik seh dat so«, fuhr der Nachtwächter nachdenklich fort. »Dat de Herrgott uns noch nich abberufen hat, wat er wohl kunnen hett, dat mut wohl een Grund hebben. Vielleicht is et uns ja bestimmt, dat wi diesen Mörder finnen.«
    »Keine Ahnung, was uns bestimmt ist oder nicht«, schnaubte Kettenburg. »Ich denke, jetzt ist es mir jedenfalls bestimmt, eine Mütze Schlaf zu finden. Morgen wartet noch einiges an Arbeit auf uns.«
    »Dor haben Sie wohl recht.« Borchert sog geräuschvoll die Luft ein. »Also dann, een gooden Abend. Ik mach draußen noch ne lütte Rund. Bün zwar nu für Sie tätig, aber Gewohnheit is eben Gewohnheit.«
    Kettenburg musste wider Willen lächeln. Als ihm Borchert zum Abschied die Hand reichte, schlug er ein. Der Mann war zwar sein Untergebener, aber im Gegensatz zu vielen anderen, mit denen er Umgang pflegte, verdiente der Dicke durchaus seinen Respekt.
    Als er den Wacher vor die Haustür begleitete und dieser seine Laterne entzündete, fiel sein Blick wieder auf das Stadttheater, das sich schemenhaft schräg gegenüber der Straße abzeichnete. Er hatte ganz vergessen nachzuprüfen, was dort gespielt wurde.
    »Sag mal, Borchert,

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