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Der Funke des Chronos

Titel: Der Funke des Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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Eisch is es doch scheißegal, wenn man fer sechs Geschwister ganz alla sorje muss, weil die Alt saufe dut. Der liewe Gott? Der war nie do, wenn man ihn gebrauche gekennt hätt. Sogar dem Pfaffe in de Armeschul hab isch’s mache misse. Nur für’n Knerzel Brot. Also her mer uff mim … liewe Gott!«
    Erschöpft sank das Mädchen über dem Tisch zusammen und zitterte. Erschüttert blickte Kettenburg auf sie hinab und konnte nur schwer den Impuls bändigen, ihr beruhigend über den Kopf zu streichen. Tief atmete er ein und stand auf. Als Borchert etwas sagen wollte, gebot er ihm energisch Einhalt. Anschließend ging er einige Schritte im Zimmer auf und ab und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. So, wie er es immer tat, wenn er aufgewühlt war.
    »Gut, ich mache dir jetzt einen Vorschlag. Ich hole dich hier heraus. Noch heute. Dafür sagst du uns alles, was du weißt.«
    Langsam hob das Mädchen den Kopf. »Sie lieje. Imma harn misch all belöge. Imma!«
    Kettenburg zückte seine silberne Taschenuhr, klappte den Deckel auf und hielt der Unglücklichen das kleine Bild vors Gesicht. »Das sind meine Frau und mein Sohn. Sie sind seit acht Jahren tot. Ich schwöre dir jetzt beim Gedenken an meine Familie, bei meiner Ehre und allem, was mir heilig ist, dass ich dich hier heraushole. Nur, hilf uns! Hilf uns, diesen Dreckskerl zu stellen, der da draußen junge Mädchen auf bestialische Weise abschlachtet.«
    Susanne starrte den Polizisten ungläubig an. »Tun Se’s schwörn?«
    »Ich schwöre es.«
    Sie senkte den Blick, und Kettenburg spürte, wie sehr die junge Frau mit sich haderte.
    »Es gab do en Mann, der dut dir’s ferschte lehre«, stammelte sie. »Der lebt do im Värtel, Kärschspiel Mischaelis. De Hans, der wu mein Loddl war, der hat ihm oft so’n junges Gemüs gebracht. Dumme Mädscha, die wu net von do warn. Dienstmädscha. Blumenmädscha. Un annere. Allweil werra un werra, bloas net misch. Weil isch em Hans sei beste Gaul im Stall war.«
    »Was ist das für ein Kerl?«
    »Der is en Abdecka, glaab isch. Groaß un braat. Oig gruselisch. Un der hat ka Zung. Der kann net babble.«
    »Herr Polizeiaktuar, erinnern Sie sik an de Wund im Rücken vun de Toten?« unterbrach Borchert aufgeregt die Aussage der Prostituierten. »De war vun een Slachterhooken. Sowat benutzen ook Abdeckers.«
    »Gut, das reicht mir«, erklärte Kettenburg entschlossen. Das alles passte zusammen. Vielleicht war es zum Streit zwischen den beiden Männern gekommen, vielleicht hatte sich dieser Abdecker auch nur eines lästigen Zeugen entledigen wollen. Es war ihm gleich, er würde ihn stellen. Allein das zählte. »Weißt du, wo dieser Kerl wohnt?«
    Die ›keusche Susanne‹ nickte zaghaft.
    »Gut, in einer Stunde werde ich dich hier herausholen, und dann wirst du mich und meine Männer dorthin fuhren, wo dieser Kerl lebt. Anschließend werde ich dir Gelegenheit geben, die Stadt zu verlassen. Hast du mich verstanden? Danach will ich dich hier nie wieder sehen.«
    Das Mädchen nickte aufgeregt. »Isch mach alls, was Se wolle. Un Se tun misch ach werklisch net anlieje?«
    »De Herr Polizeiaktuar is een Mann vun Ehre«, erklärte Borchert bestimmt. »Der lücht nich.«
    Kettenburg rollte mit den Augen und ließ nach dem Schlüsselmeister schicken. Zehn Minuten später standen er und der Uhle wieder vor dem Tor zum Zuchthaus. Tief atmete der Polizeiaktuar die warme Nachtluft ein und unterdrückte das Bedürfnis, sich den Schmutz, der ihm in dem steinernen Zwinger begegnet war, durch ein schnelles Bad in der nahen Alster abzuwaschen. Der Uhle entzündete eine Laterne.
    »Borchert, du läufst jetzt zum Stadthaus und trommelst ein paar Officianten zusammen. Wir treffen uns in einer Stunde auf dem Schaarmarkt. Bewaffnet!«
    »Wie Sie wünschen, Herr Polizeiaktuar.«
    »Mach den Männern klar, dass es Folgen haben wird, wenn sie nicht pünktlich antreten. Meinethalben kannst du auch gleich ein paar Kameraden vom Nachtwächter-Corps mitbringen.«
    »Wird mookt, Herr Polizeiaktuar. Un wat mooken Sie in de Zwischentied?«
    »Ich?« Der Beamte schnaubte. »Ich werde eine Genehmigung des Polizeisenators fälschen, um dieses Mädchen aus dem Zuchthaus zu holen. Der weilt nämlich zur Zeit bei einem Empfang des Bürgermeisters. Würde viel zu lange dauern, ihn da herauszulotsen. Außerdem muss ich noch ein Empfehlungsschreiben an einen alten Freund in Bremen aufsetzen. Die Kleine muss doch ein Ziel haben, wenn sie die Stadt verlässt.«
    Borchert starrte ihn

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