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Der Funke des Chronos

Titel: Der Funke des Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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Decke hing. Eingezwängt in dem hölzernen Gestell hockte ein hohlwangiger, kaum zwölfjähriger Junge, der erschöpft zu ihnen herunterstarrte.
    »Wie bitte?« begehrte Kettenburg empört auf. »Wegen dieser Lappalie sitzt der Junge seit drei Jahren da oben in diesem Käfig?«
    »Aba nicht doch, Herr Polizeiaktuar«, antwortete der Aufseher ruhig. »Wir sünn doch keen Unmenschen. Dor oben hockt er erst seit twee Tagen. Zur Stroof mutt er den anderen beim Essen tokieken, weil er nich mehr in dat Laufrad wullt hett.«
    »Ins Laufrad …?« wiederholte Kettenburg tonlos. Der Wärter zuckte mit den Schultern, kurz darauf verschwand er durch eine kleine Seitenpforte.
    Kettenburg starrte noch immer entgeistert zur Saaldecke hinauf.
    »Harn Sie dat nich wüßt?« wollte der dicke Uhle wissen. »Mit de Lööprad treiben se drüben in’n Werktrakt die Walzen an, um Hanf zu zerstampfen. Soll een lohnendes Geschäft för dat Zuchthaus sien. De Tretmühl ward zu de Zeit vun Polizeisenator Dämmert einföört. De Insassen hier hebb ihr een Namen geben: Dämmert sien Danzböön. Andere mütt Färbeholz raspeln oder stelln Matten aus Kauhfellen her. Macht zwar engbrüstig, is ober eenfalls ganz einträglich, wie man hört.«
    »Sklavenarbeit. Der Knabe da oben ist doch kaum zwölf Jahre alt. Der gehört ins Waisenhaus. Nicht hierher.«
    »Glauben Sie man nich, dat der hier de einzige is.«
    Kettenburg griff empört nach einem halb gegessenen Apfel auf einem der Tische und warf ihn hoch zu dem Hungerkorb. Es bedurfte dreier Anläufe, bis ihn der geschwächte Knabe endlich zu fassen bekam.
    »Erinnern Sie mich daran, dass ich mich nach dem Namen des Jungen erkundige. Ich werde den Fall persönlich neu aufrollen.«
    Borchert nickte.
    In diesem Augenblick öffnete sich die Seitenpforte abermals, und der Wärter kam in Begleitung eines fettleibigen Mannes zurück, dessen Uniformjacke sich bedenklich über den Bauch spannte. In seinen fleischigen Händen hielt er einen großen Schlüsselbund, der mit jedem seiner Schritte klimperte.
    »Ah, der Herr Polizeiaktuar«, schnaufte er. »Sie wollen eine unserer Gefangenen verhören? Dann folgen Sie meinem Kollegen mal nach oben in den Verhörraum. Ich bring Ihnen die Hure. Ich muss sie erst drüben aus dem Spinnhaus holen.«
    Der Polizeiaktuar und der Uhle folgten dem Aufseher ein weiteres Mal durch die Gänge des finsteren Baus, während der Schlüsselmeister den Weg zu einem anderen Trakt einschlug. Sie querten einen engen, spärlich mit Öllampen beleuchteten Gang, von dem links und rechts Dutzende Holztüren mit vergitterten Öffnungen abzweigten. Irres Gelächter war hier ebenso zu hören wie verzweifeltes Wimmern. Kaum hatten sie am anderen Ende die runde Wendeltreppe zum Obergeschoß erreicht, als Kettenburg auf einen hageren Mann aufmerksam wurde, der sich schräg hinter ihm mit dem Gesicht gegen die eisernen Streben seiner Zelle presste. Seine Stimme klang verzweifelt.
    »Sie sind keiner der Aufseher, stimmt’s? Sie kommen von draußen? In Gottes Namen, bitte hören Sie mich an. Mein Name ist Kurt Schellenberg. Kurt Schellenberg. Man hat mich zu Unrecht eingesperrt. Ich bin nicht verrückt. Meine Familie hat einen Arzt bestochen und mich für unmündig erklären lassen. Sie wollten an mein Vermögen. Ich sitze hier schon seit fünf Jahren, und niemand …«
    Bevor ihn Kettenburg daran hindern konnte, stieß der Wärter seinen Knüppel durch die Gitterstäbe. Ein Schmerzensschrei war zu hören, und der Wortschwall des Gefangenen brach unvermittelt ab. Alles, was der Beamte jetzt noch hören konnte, war hilfloses Schluchzen.
    »Hör’n Sie nich auf den Spinner!« fluchte der Wärter und wischte das Ende des Knüppels sorgfältig mit einem Taschentuch ab, bevor er ihn wieder wegsteckte. »De Karl hat se nich alle. Verteilt uns düsse Geschiche schon siet Johren. Wird es eenfach nich leid. Verfluchter Hurenbock. Ik kann et nich meer hören.«
    »Die Angelegenheit ist doch hoffentlich überprüft worden, oder?« wollte Kettenburg wissen.
    »Geiht mi nix an. Bün ik nich för verantwortlich.« Der Wärter deutete gelangweilt zur Wendeltreppe.
    »Merk dir den Namen dieses Insassen«, zischte Kettenburg Borchert empört zu und begab sich nach oben. Etwas später wurden sie in eine Kammer mit kahlen Steinwänden geführt, in der als einzige Einrichtungsgegenstände ein wackliger Tisch und zwei Hocker standen.
    »Der Schlüsselmeister kommt gleich. Wollen Sie was trinken?«
    Kettenburg

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