Der Funke des Chronos
und sah sein Gegenüber eindringlich an. »Mir geht es um Erkundigungen. Ich kann Ihnen nicht sagen, wer ich bin oder woher ich stamme. Sie würden mir schlichtweg nicht glauben. Aber ich muss unbedingt erfahren, was Sie gestern in diesem Keller wollten. Mein … Leben hängt von diesem Wissen ab.«
Heine sah ihn kopfschüttelnd an. »Hören Sie sich selbst hin und wieder beim Reden zu? Ihre Erklärung wirkt überaus stupende.«
Tobias seufzte. »Beantworten Sie mir meine Fragen, wenn ich Ihnen helfe, an den Inhalt des Kastens zu gelangen?«
»Sie wissen, wo er geblieben ist?«
»Ja, ich trage ihn bei mir.« Tobias klopfte gegen die Ausbeulung seiner Jacke und lüpfte kurz Notizbuch und Zettel.
»Sie haben …« Heine senkte hastig die Stimme. »Sie haben das Gesuchte? Warum haben Sie mir das nicht bereits gestern anvertraut?«
»Vielleicht weil ich ein ebensolcher Geheimniskrämer bin wie Sie.«
Eine Weile lang starrten beide sich an, schließlich atmete Heine tief ein.
»Was Sie da bei sich tragen, suche ich nicht um meiner willen, sondern im Auftrag meines Onkels. Sie wissen, von wem ich spreche?«
Tobias dachte an die Fahrt auf der Elbchaussee zurück. »Sie sprechen von Salomon Heine, richtig? Dem Bankier.«
»Er ist vor allem einer der reichsten Männer im ganzen Deutschen Bund. Mit größerem Einfluss, als Sie ermessen können. Man sollte ihn sich nicht zum Feind machen.«
Tobias überging die Warnung und wartete ab, bis sich der Dichter wieder beruhigt hatte.
»Was Sie bei sich tragen«, herrschte ihn Heine leise an, »gehört gewissermaßen zum Familienbesitz. Es wurde vor einem Monat aus seiner Villa gestohlen. Zusammen mit einigen anderen Wertgegenständen. Es besitzt eher ideellen Wert.«
Tobias dachte an die Medaille mit dem Emblem der Freimaurer zurück.
»Das glaube ich Ihnen nicht, Herr Heine.«
»Es ist aber so.«
»Wollen Sie mir allen Ernstes weismachen, dass Ihr Onkel ausgerechnet Sie aus Paris nach Hamburg beordert hat, damit Sie einem Diebstahl nachgehen, bei dem es nur um ideelle Werte geht? Warum hat er damit nicht einen x-beliebigen Gewährsmann beauftragt? Oder jemanden aus seiner Hamburger Verwandtschaft? Er hat doch sicher eigene Söhne, oder?«
»Das geht Sie zwar nichts an, aber mein Vetter Carl und seine Frau weilen zur Zeit in Süditalien«, antwortete der Dichter brüsk. »Mein Oheim hat daher darauf bestanden, dass ich mich der Angelegenheit annehme. Wir beide sind durch eine Reihe persönlicher und auch, nun ja, finanzieller Verflechtungen miteinander verbunden.«
Tobias spitzte die Ohren. Richtig. Endlich fielen ihm wieder einige Anekdoten aus dem Deutschunterricht ein. Heine war den größten Teil seines Lebens finanziell von seinem Onkel abhängig gewesen. Außerdem gab es da ein Gerücht um Heines vergebliche Liebe zu dessen Tochter Amalie. Heinrich Heine und sein Onkel Salomon waren einander ihr Leben lang in Hassliebe verbunden gewesen.
»Es geht bei alledem um eine Angelegenheit, die eher spiritueller Natur ist«, fuhr Heine fort. »Ich verlange nicht, dass Sie das verstehen.«
»Dann erklären Sie es mir.«
»Nein. Diese Geschichte ist zu phantastisch. Sie würden mir nicht glauben.«
Tobias schnaubte. »Vertrauen Sie mir. Ich bin inzwischen ein Spezialist für phantastische Geschichten. Verraten Sie mir, wie Sie auf die Abdeckerei gekommen sind!«
»Sie zuerst.«
»Nun gut«, räumte Tobias ein. »Ich habe Ihnen doch erzählt, dass ich dem Kahlköpfigen bereits einige Tage zuvor über den Weg gelaufen bin. War ein äußerst unschönes Zusammentreffen. Und er hat mir ebenfalls etwas Wichtiges gestohlen. Anschließend bin ich ihm auf der Spur geblieben. Und jetzt Sie.«
»Also … einige der wertvollen Stücke, die aus dem Hause meines Onkels entwendet wurden, sind vor kurzem bei einem Hehler aufgetaucht. Ich kenne diese Stadt recht gut. Wie Sie vielleicht wissen, habe ich in meiner Jugend im Bankhaus meines Onkels eine Lehre gemacht und später meinem Vater zuliebe ein Geschäft in Hamburg eröffnet. Manufakturwaren. Es befand sich in der Kleinen Bäckerstraße. Ich gestehe freimütig, mir damals keine große Mühe gegeben zu haben. Ich habe schon immer lieber geschrieben. Und auch jenen Vergnügungen nachgegeben, nach denen man als junger Mann dürstet.« Heine blickte versonnen aus dem Fenster. Tobias folgte seinem Blick und stellte überrascht fest, dass zweihundert Meter entfernt jenes Schiff festgemacht hatte, das vorgestern noch am Privatkai
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