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Der Funke des Chronos

Titel: Der Funke des Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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von Justus Lewald gelegen hatte.
    »Wie dem auch sei«, fuhr Heine fort, »mein Onkel weiß, dass niemand in unserer Familie die Winkel dieser Stadt besser kennt als ich. Es hat zwar eine Weile gedauert, doch ich konnte peu à peu herausfinden, von wem dieser Hehler die Gegenstände erhalten hatte. Ich dachte, das Gebäude stehe leer. Leider befand ich mich im Irrtum.«
    Heine sah Tobias fragend an. »Und wer war die junge Dame?«
    »Ihr Name ist Caroline Lewald.«
    »Nein, der Name sagt mir nichts.«
    Tobias beugte sich vor. »Wollen Sie nicht wissen, wer für den Diebstahl in Wahrheit verantwortlich ist? Dieser Schurke gestern war doch nur ein Handlanger. Wir müssen den Mann finden, der hinter ihm steht. Er ist nicht nur ein Dieb, er ist ein sadistischer Mörder. Schon moralisch sind wir dazu verpflichtet.« Das war zwar nur die halbe Wahrheit, aber dies musste sein Gegenüber ja nicht wissen.
    Heinrich Heine kratzte sich am Bart. »Besitzen Sie Hinweise auf diesen Unbekannten?«
    »Nun ja. Einmal bin ich ihm bereits begegnet. Ein unheimlicher Mensch. Wir haben die Klingen miteinander gekreuzt.«
    »Sieh an.« Heine hob eine Augenbraue. »Dennoch, das kann ich nicht allein entscheiden.«
    »Dann mache ich Ihnen einen Vorschlag.« Tobias gab sich versöhnlich. »Sie bringen mich zu Ihrem Onkel – und ich rede selbst mit ihm. Ich bin nur an Nachrichten interessiert. Ganz besonders dann, wenn diese unglaubwürdig oder phantastisch erscheinen. Anschließend übergebe ich Ihnen alles, was ich besitze. Mein Ehrenwort darauf.«
    Heine faltete die Zeitung nachdenklich zusammen und musterte ihn. »Ihnen sollte bewusst sein, dass er Sie nicht gehen lassen wird, ohne seine Besitztümer zurückerhalten zu haben. So oder so.«
    »Ja, dessen bin ich mir bewusst.«
    »Nun gut, einverstanden«, erklärte Heine zögernd. »Dann schlage ich vor, Sie beeilen sich. Wir brechen in einer halben Stunde zur Elbchaussee auf.«

 

Salomon Heine
     
    Elbchaussee 1842, 4. Mai,
    27 Minuten nach 11 Uhr am Morgen
     
    D ie Mietdroschke, mit der Tobias und Heinrich Heine Hamburg verlassen hatten, hielt vor einem zweistöckigen weißen Landhaus, das sich inmitten eines weitläufigen Parks erhob. Tobias, der nicht damit gerechnet hatte, der vornehmen Elbchaussee mit ihren eleganten Prachtbauten so schnell einen weiteren Besuch abzustatten, stieg aus und sah sich aufmerksam um. Hier war alles ganz anders als bei den Lewalds. Die Villa des reichen Bankiers stand auf einem leicht abfallenden Hügel, von dem aus man über blumengeschmückte Hänge hinweg und durch mächtige Baumgruppen hindurch auf den Elbstrom blicken konnte. Bunt schillernde Fasane suchten das Ufer eines gepflegten Weihers nach Nahrung ab. In einiger Entfernung waren kunstvolle Volieren zu erkennen, und in deren Nähe harkte ein junger Gärtner ein Blumenbeet.
    Im Gegensatz zu diesem Park wirkte Salomon Heines Villa geradezu klein und bescheiden. Die Rahmen der großen Fenster im Erdgeschoß waren mit verspielten Holzschnitzereien versehen, und an der Hauswand rankte vereinzelt Efeu empor.
    »Ich hoffe, Sie wissen sich zu benehmen«, ermahnte ihn sein Begleiter. Der Dichter hatte soeben den Kutscher bezahlt, der die Droschke jetzt zu einem nahen Stellplatz lenkte. »Sicher wird es meinen Oheim nicht sonderlich erfreuen, dass ich Besuch mitbringe.«
    »Ich werde mir Mühe geben«, erwiderte Tobias. »So schwierig wird Ihr Onkel doch wohl nicht sein, oder?«
    »Schwierig?« Heine schnaubte, hob den leeren Kasten aus dem Keller der Abdeckerei und deutete auf das Haus. »Mein Onkel ist wie der grimmige Löwe der Menagerie, der ab und an brüllt. Doch bei allen Gebrechen hat er auch die größten Vorzüge. Wir leben zwar in beständigen Differenzen, aber ich liebe ihn außerordentlich. Fast mehr als mich selbst. Dieselbe störrische Keckheit, bodenlose Gefühlsweichheit und unberechenbare Verrücktheit. Nur dass Fortuna ihn zum Millionär und mich leider zum Gegenteil, das heißt, zum Dichter gemacht hat. Er hat durchaus ein gutes Herz. Aber von seinem Herzen zu seiner Tasche führt keine Eisenbahn. Dies nur zur Warnung, falls Sie es doch auf Geld abgesehen haben sollten.«
    »Nein, das sagte ich doch bereits.«
    »Nun, dann kommen Sie.« Heine schritt an ihm vorbei und betätigte den Türklopfer. Wieder fiel Tobias auf, dass sein Begleiter das Bein leicht nachzog.
    Heine bemerkte diesen Blick. »Die Folgen eines Streifschusses im September letzten Jahres. Bei größeren Anstrengungen

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