Der Funke des Chronos
den lieben langen Tag ja eh nichts.«
»Pardon, lieber Onkel. Ich schreibe Bücher.«
»Na also, ich sagte es ja«, stichelte der Alte. »Du tust nichts.«
»Wie du meinst.« Heinrich Heine verzog spöttisch die Lippen. »Ist vielleicht auch besser so. Bekanntlich hat mein Onkel drei Diener. Einen zum Servieren, einen für den Dativ und einen für den Akkusativ.«
»Red kein Stuß«, maulte der Bankier. »Erzähl!«
»Nun, die Geschichte, die Steinwasser meinem Onkel erzählte, geht wie folgt«, holte Heine aus. »Im Jahre 1783 gründete ein gewisser Karl von Ecker und Eckhofen hier in Hamburg eine Freimaurerloge mit dem Namen ›Zum flammenden Stern‹. Sie war die erste in ganz Deutschland, die Juden aufnahm. Es handelte sich bei dem ›Flammenden Stern‹ um keine der üblichen Logen, sondern vielmehr um eine Vereinigung, die sich der ›ägyptischen Freimaurerei‹ widmete. Eine Spielart der Freimaurerei, die ein Jahr zuvor von dem berühmten Cagliostro ins Leben gerufen worden war. Sicher ist Ihnen der Name Cagliostro ein Begriff.«
Tobias überlegte kurz, schüttelte dann aber den Kopf. »Tut mir leid. Keine Ahnung.«
Also erklärte ihm Heine, um wen es sich handelte. »Er war Sizilianer. Man warf ihm vor, ein Scharlatan zu sein. Er soll sich als Arzt, Wunderheiler, Goldmacher und noch manches andere mehr ausgegeben haben. Aber ganz so einfach ist das auch wieder nicht. Cagliostro mag für manchen Betrug verantwortlich gewesen sein, doch es gab Menschen, die unter Eid schworen, dass er seltsame Dinge vollbrachte. Er selbst behauptete, in jungen Jahren Adept einer hermetischen Lehre geworden zu sein, die sich aus magischen Theorien des alten Ägypten und Griechenland zusammensetzte. Besagter Karl von Ecker und Eckhofen, der die Hamburger Loge gegründet hatte, gehörte zu den glühendsten Bewunderern des Sizilianers. Im Jahr 1789, als Cagliostro von der katholischen Inquisition aufgegriffen und in die Festung San Leone verbannt wurde, machte sich von Eckhofen auf, um Cagliostros größten Schatz vor dem Zugriff des Vatikans zu retten. Einen Smaragd.«
»Einen Edelstein?«
»Keinen gewöhnlichen Edelstein, mein junger Freund«, betonte der Dichter. »Einen Stein mit unheimlichen Kräften. Gewisse antike Quellen behaupten, dass dieser Stein vor vielen tausend Jahren auf alchimistischem Wege geschaffen wurde. Andere sind der Ansicht, er sei in einer sternklaren Nacht als heller Meteor vom Himmel gefallen. Doch jede der Quellen ist sich darin einig, dass dieses Ereignis in Ägypten stattfand. Dort soll sich der Smaragd im Besitz des sagenhaften Ahnherrn aller Alchimie befunden haben: des Hermes Trismegistos.«
»Auch dieser Name sagt mir nichts«, gab Tobias zu.
»Das wundert mich nicht«, meinte Heine. »Es ist nicht einmal sicher, ob es einen Mann dieses Namens überhaupt gab. Eher darf man vermuten, dass in dieser Gestalt Züge des griechischen Gottes Hermes und des ägyptischen Gottes Thot verschmolzen.«
Tobias runzelte die Stirn. Thot? Dieser ägyptische Göttername war auch im Zusammenhang mit der seltsamen Maske gefallen. Gespannt hörte er weiter zu.
»Doch zurück zu dem Smaragd«, fuhr Heine fort. »In die Legenden ging er ein als die ultima materia – oder bekannter als lapis philosophorum.«
»Wie bitte?« Tobias sah sein Gegenüber verblüfft an. »Sie sprechen vom ›Stein der Weisen‹? Aber das ist doch nur ein Sinnbild. Ein philosophisches Konstrukt.«
»Seien Sie sich da nicht zu sicher«, mischte sich Salomon Heine vom Tisch aus ein und klopfte leichthin auf das Notizbuch. Er hielt inzwischen eine Meerschaumpfeife in der Hand und stopfte sie mit gespielter Gelassenheit.
»Dieser Smaragd hat im Laufe der Geschichte eine lange Odyssee hinter sich gebracht«, nahm der Dichter den Faden wieder auf. »Große Alchimisten und Mystiker wie Pythagoras von Samos, Nikolas Flamel, Albertus Magnus, Agrippa von Nettesheim oder Paracelsus sollen ihn besessen oder zumindest ernsthaft nach ihm gesucht haben.«
»Ganz sicher besaß ihn dieser Nostradamus«, brummte der Bankier und suchte seine Taschen nach Streichhölzern ab.
»Was soll das heißen?« wollte Tobias wissen. Seine Verwirrung stieg allmählich ins Unermessliche.
»Nun«, fuhr Heinrich Heine fort, »fragen Sie mich nicht, wie. Aber besagter Karl von Ecker und Eckhofen, also der Gründer dieser Hamburger Loge, fand Cagliostros Schatz und kam angeblich im Jahr 1792 mit dem legendären Smaragd nach Hamburg zurück. Er berief einen
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