Der Gärtner von Otschakow
verschwand von seinem Gesicht. Es war, als erwartete er keine erfreulichen Überraschungen mehr. Im zweiten Paket mit denselben Initialen fand sich jedoch ein Dutzend kleiner Papiertütchen. Er öffnete eines von ihnen, hielt den Atem an. Und dann schüttete er sich vor den Augen des staunenden Igor durchsichtige, geschliffene Kristalle in die Hand.
»Diamanten?«, fragte Igor flüsternd.
Stepan löste den Blick von seiner Handfläche und sah den Fragesteller an.
»Weiß der Himmel«, sagte er, schüttete die Steinchen zurück in das Tütchen, faltete das nächste auf und spähte nur hinein. »Das kann bloß ein Fachmann sagen…«
Igor dachte an sein Geld, für das er vor ihrer Reise nach Otschakow ein Motorrad hatte kaufen wollen. Natürlich, so viel hatte er für diese Reise nicht ausgegeben, aber ohne sein Geld wären sie ja überhaupt nirgends hingekommen!
Stepan hatte inzwischen den ganzen Inhalt zurück in den Koffer gelegt, er schloss ihn und schob ihn in eine Ecke. Und öffnete gekonnt mit dem Eisen den zweiten.
Im zweiten Koffer lagen ein paar in weißes Tuch eingenähte Pakete, auch sie mit Kopierstift angeschrieben. Die Initialen waren überall verschieden, aber die Schrift blieb dieselbe.
[51] »Das hier gehört wohl nicht mehr dem Vater?!«, bemerkte Igor vorsichtig.
»Was macht das für einen Unterschied?« Stepan lachte ein wenig angespannt. »Mein Vater hatte einen Sohn, und die hier hatten vermutlich keinen…«
Er riss ein Paket an der Naht auf, zog eine Pappschachtel heraus ans Licht der Lampe und schüttelte sie, aber drinnen klang nichts. Er öffnete sie, und da lagen, in Taschentücher gewickelt, fünf alte goldene Taschenuhren mit Kette.
»Such dir eine aus!« Stepan hob einen listigen, aber schon leicht müden Blick zu Igor.
Igor erstarrte und begriff nicht, ob der Gärtner nun scherzte oder seinen Vorschlag ernst meinte.
»Da, nimm die hier.« Stepan tippte mit dem Finger auf die Größte von ihnen.
Igor nahm sie in die Hand und klappte den Deckel auf, der das Zifferblatt schützte. Die Uhr war tatsächlich wunderschön. Er drehte den kleinen gerillten Knopf zum Aufziehen und hob die Uhr ans Ohr. Die Uhr schwieg.
»Sie geht nicht«, sagte Igor traurig.
»Der Uhrmacher repariert sie dir.« Stepan nahm schon das zweite Paket in Angriff.
Jetzt beobachtete Igor Stepan aufmerksam, sah zu, wie er aus dem einen Paket goldene Zar-Nikolaj-Tscherwonzen herauszog, aus dem anderen Fingerringe mit Edelsteinen und goldene Armbänder mit Smaragden.
Schließlich war der Inhalt des zweiten Koffers vollständig untersucht und ebenfalls an seinen Platz zurückgelegt.
Jetzt, als Stepan den dritten Koffer öffnete, glühten seine Augen vor Erregung.
[52] Igor fühlte sich plötzlich unbehaglich. Ihm schien, dass Stepan ihn schief und nicht besonders freundschaftlich ansah. Es war klar, dass sie in Otschakow echte Schätze gefunden hatten, die viel wert waren, für die man auch töten konnte. Und vielleicht hatte man für sie ja getötet, und mehr als einen. Viel Gold zu besitzen oder sich auch nur in seiner Nähe aufzuhalten ist zu allen Zeiten lebensgefährlich, ob im Jahr 1957 oder 2010.
Mühelos öffnete Stepan ihren letzten Koffer aus Otschakow und blickte betreten auf eine ordentlich zusammengelegte alte Milizuniform. Auch Lederstiefel, ein Gürtel mit Schnalle und eine Uniformmütze lagen dabei.
Stepan fuhr mit den Händen über den Boden des Koffers, ohne die Uniform herauszuziehen. Plötzlich erstarrte wieder ein ungutes Lächeln auf seinem Gesicht, und er verharrte reglos, die Lippen angespannt. Ein solches Gesicht haben Jungs, wenn sie im seichten Flusswasser blindlings nach Krebsen haschen.
Endlich zog Stepan die Hand aus dem Koffer und mit ihr eine Pistole im Halfter. Danach holte er zwei Bündel mit, im Vergleich zu den ukrainischen Griwni, riesigen sowjetischen Banknoten heraus.
»Na, sowas«, seufzte er enttäuscht und warf beide Bündel zurück in den Koffer auf die Uniform, daneben legte er vorsichtig das Halfter mit der Waffe. »Das kannst du dir nehmen! Zur Erinnerung an Otschakow!«
Igor betrachtete den Gärtner, fragte sich: ›Er will sich doch nicht etwa mit dieser Uniform und einer Uhr von mir loskaufen?‹ Wobei die Uhr ja vermutlich mehr wert war, als er für die gemeinsame Reise ausgegeben hatte. Andererseits [53] hatten sie doch wirklich einen Schatz gefunden. Und auch, wenn sie ihn nicht halbe-halbe teilten, sondern so, wie Stepan im Scherz gesagt hatte, wenn
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