Der Gärtner von Otschakow
beobachtete, wie Alexandra Marinowna einen weißen Kittel überzog, den sie aus der Tasche geholt hatte, wie sie ihre Frisur in Ordnung brachte, sich in einem kleinen Spiegel ansah und aus den Taschen drei Flaschen herausnahm und auf den Ladentisch stellte.
[220] »Hausgemachter Roter, hausgemachter Echter!«, rief sie und ließ einen Besitzerblick über ihre nächste Umgebung schweifen, als habe sie vor, hier allein zu herrschen. »Ob fürs Fest oder den Leichenschmaus! Probieren ist kostenlos und Trinken ein Vergnügen!!!«
Igor ließ den Blick durch die Weinreihe schweifen. Wanjas Mutter schien hier die jüngste und lebhafteste der Marktfrauen zu sein. Links und rechts von ihr standen ein paar alte Frauen, die Mehrliter-Weinflaschen vor sich aufgestellt hatten, und links außen wartete ein gebückter alter Mann mit zwei vorrevolutionären großen Ballonflaschen an seinem Stand.
Als Igor sich ein wenig erholt hatte, machte er sich zur Fischreihe auf. Dort tönten die Marktfrauen lauter, und in ihrem Chor erkannte er sofort die Stimme von Walja. Die Beine gingen von selbst schneller.
»Guten Morgen.« Igor machte neben dem Stand halt, der Platz vor Walja war von einer mageren, vielleicht vierzigjährigen Frau mit zwei straff um den Kopf gelegten Zöpfen besetzt.
»Ein guter Morgen beginnt um sechs, nicht um neun!« Walja lächelte. Und wandte den Blick wieder zu der Frau mit den Zöpfen. »Ich werde es ihm sagen! Er findet es bestimmt, und dann bringt er es zurück!«, sagte sie zu ihr.
»So geht das doch nicht«, erwiderte die Frau mit den Zöpfen unzufrieden. »Ich kann nicht allen hinterherlaufen! Da, ich melde es bei der Miliz«, und sie sah Igor vielsagend an. »Die schreiben ihn auf die Tafel der Schande! Dann lacht die ganze Stadt ihn aus!«
Die Frau drehte sich um und ging.
[221] »Haben Sie Probleme?«, fragte Igor lächelnd.
»Mein Mann hat ein Buch aus der Bibliothek verloren, und der Parteibeauftragte von der Konservenfabrik braucht dieses Buch nun.«
»Und gibt es Flundern?«, fragte Igor, um von dem Bibliotheksthema abzukommen.
Walja schüttelte den Kopf. »Nur Grundeln, und auch da nur Reste! Mein Mann hat Rückenschmerzen, kann kaum gehen. Gestern ist er auf die Nehrung rausgegangen und nach zwei Stunden zurückgekommen! Es gibt fast nichts zu verkaufen!«
Zum ersten Mal sah Igor in Waljas Augen keine mutwilligen Funken.
»Dann muss Ihr Mann behandelt werden«, sagte er.
»Es gibt da eine Frau in Kamenka, aber die nimmt hundert Rubel.«
Igor zog, ohne hinzusehen, einen Hunderter aus dem Packen der rechten Hosentasche, rollte ihn zusammen und reichte ihn Walja.
»Geben Sie mir zehn Grundeln, bitte«, sagte er übertrieben laut. »Rausgeben ist nicht nötig«, fügte er flüsternd hinzu.
Walja wickelte die Grundeln in eine Zeitung.
»Ach, fast hätte ich es vergessen!« Igor legte seinen Beutel auf den Stand. »Hier sind all Ihre Arzneien, und da steht auch, wie und wann man sie nehmen muss…«
»Meine Arzneien?«, wiederholte Walja betreten.
»Na ja, gegen Ihre Krankheit.«
»Woher wissen Sie das denn?«, fragte sie, auch schon flüsternd.
[222] »Sie haben es mir selbst erzählt!«, flüsterte Igor zurück. »Heute Abend im Park auf der Bank?«
»Um sechs«, antwortete sie.
»Soll ich Sekt mitbringen?«
»Welche Frau mag keinen Sekt!«, sagte sie, und in ihrem Blick lag Wärme, in ihrer Miene Verwirrung.
20
Nachdem er eine Zeitlang durch die Stadt geschlendert war, kam Igor an einer Volkskantine vorbei. Er trat ein, aß Borschtsch und Buchweizen mit Rindsfilet und trank Kompott hinterher, nachdem er sieben Rubel für alles bezahlt hatte.
Der Seewind kitzelte ihn in der Nase. Die Morgensonne verbarg sich hinter Wolken, die sich gegenseitig jagten und fortschoben und den Himmel über Otschakow erfüllten.
Zum frühen Abend hin wurde es kühl. Igor kaufte im Feinkostladen eine Flasche Sekt und eine große Zweihundertgramm-Schokoladentafel Marke ›Leningrad‹. Er ging im Haushaltswarenladen vorbei und kaufte zwei Gläser und einen Stoffbeutel mit der Aufschrift ›Seebad-Souvenir‹. Dort hinein legte er alle Einkäufe, begab sich in den Park am Markt und setzte sich auf eine Bank. Hinter ihm raschelte es, und warme, starke Hände hielten ihm die Augen zu. Igor erstarrte erschrocken. Mit so etwas hatte er nicht im Geringsten gerechnet, und wären die Hände zärtlich und sanft gewesen, hätte er wohl mitgespielt. Aber diese Kraft, mit der die Handflächen sich auf sein
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