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Der Gärtner von Otschakow

Der Gärtner von Otschakow

Titel: Der Gärtner von Otschakow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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belustigt.
    »Die mutigeren auch!«
    [226] »Gehörst du denn zu den mutigeren? Oder zu den anderen?«
    »Na, die, die nicht viel gelernt haben, sind immer mutiger als die, die von der Universität kommen!«
    »Weißt du das aus persönlicher Erfahrung?«
    »Gieß lieber noch Sekt ein!«, bat Walja.
    Igor schenkte ein, sich und ihr.
    »Und, auf was trinken wir?«, fragte er.
    »Auf meinen Mann Petja, dass er gesund wird!«, schlug Walja vor.
    Igor staunte, aber ließ sich nichts anmerken. Und falls doch, wäre es in der Finsternis nicht zu sehen gewesen.
    »Liebst du ihn?«
    »Früher ja, jetzt bemitleide ich ihn.«
    »Und ist ihm das recht? Dass du ihn bemitleidest?«
    »Wieso nicht?« Walja zuckte die Achseln und nippte an dem Sekt. »Mitleid ist doch stärker als Liebe! Die Liebe kann immer aufhören, aber aufhören, Mitleid zu haben, kann man ja nicht. Der Mensch tut dir leid, solange er lebt, erst wenn er gestorben ist, geht das Mitleid vorbei. Das heißt also, dass es für meinen Mann besser ist, wenn ich ihn sehr bemitleide…«
    »Ich würde nicht wollen, dass mich jemand bemitleidet«, sagte Igor nachdenklich. Er streckte die Hand nach der Schokolade aus, nahm ein Quadrat und schob es in den Mund. Die Schokolade war bitter und hart.
    »Das kommt daher, dass dich wahrscheinlich noch keine Frau richtig bemitleidet hat!«
    »Mich hat wahrscheinlich auch noch keine Frau richtig geliebt.« Igor nickte langsam und ahnte plötzlich in Waljas [227] Worten eine unendlich reichere Lebenserfahrung als seine eigene.
    »Du bist doch noch ganz jung.« Walja legte Igor einen Arm um die Schulter, sie schmiegte sich an ihn, und die Wärme ihres Körpers drang durch sein Hemd.
    »Nimm wenigstens das Halfter ab, es sticht«, beschwerte Walja sich im Spaß.
    Igor nahm gehorsam den Gürtel ab, legte ihn mit dem Halfter neben sich in den Sand.
    »Wollen wir baden gehen?«, schlug sie vor.
    »Ich habe nichts dabei«, erwiderte Igor verlegen.
    »Wieso ›nichts‹?« Walja lachte so laut und hell, dass Igor sich erschrocken umsah. »Du hast Sekt dabei, Schokolade dabei, mich dabei! Komm, zieh dich aus, wir gehen nackt ins Wasser und trocknen wieder, wenn es nicht regnet.«
    Igor knöpfte sein Hemd auf und verfolgte aus dem Augenwinkel, wie Walja sich das Kleid abstreifte. Ihre Lackpumps leuchteten weiß im Sand. Als sie fertig war und sich nach Igor umsah, saß er noch immer so im Sand, mit dem aufgeknöpften, aber nicht ausgezogenen Hemd.
    »Was ist, genierst du dich?«, fragte sie lachend.
    Igor wollte im Erdboden versinken. Aber noch viel mehr erschreckte ihn ein anderer Gedanke: dass er, wenn er die Uniform auszog, womöglich aus dieser Zeit, von diesem Ort verschwinden und diese schöne, von Leben erfüllte Frau allein zurücklassen würde. Und dann würde wohl sogar sie sich erschrecken!
    »Ich gehe so.« Igor stand auf, packte, ohne dass sie es bemerkte, die Rubelpäckchen in den Stoffbeutel um und stapfte entschlossen ins Wasser.
    [228] »Du bist so komisch«, sagte sie lachend und begann, splitternackt neben ihm ins Wasser zu waten.
    Auf ihren Körper hätte man ohne Zögern das sowjetische Gütesiegel kleben können, jenes Fünfeck mit der Abkürzung CCCP , das nur die allerbeste Produktion erhielt. Alles an ihr war vollkommen, ihr Gesicht, ihre Brust, ihre Taille, ihre Hüften. Und dabei hatte sie nichts gemein mit den entblößten Schönheiten auf den Covern und Innenseiten des Playboy oder anderer Männerzeitschriften. Dort, auf den Covern, ersetzte Sexappeal die Schönheit. Und ersetzte sie in den Köpfen von Millionen Männern, ja, hatte sie bereits ersetzt. Aber hier, im dunklen Wasser des Schwarzen Meeres, konnte Igor die Hand nach der allernatürlichsten Schönheit ausstrecken und sie berühren. Er berührte ihre Schulter. Sie drehte sich um, ihr Lächeln schien zu sagen: ›Hab doch keine Angst vor mir, hab keine Angst!‹ Und Igor umarmte sie und berührte wie zufällig mit der Hand ihre Brust.
    Walja stieß ihn scherzhaft weg. »Du kratzt mich mit deinem Hemd!«
    Igor trat einen Schritt zurück und blieb stehen, ohne den Blick von ihr zu wenden. Sie tauchte bis zum Hals ein und hielt mit den Händen ihr Haar über Wasser. In der Ferne pulsierte im Dunkel der Schein von Lichtern.
    »Ist das die Stadt?«, fragte Igor und wies auf die Lichter.
    »Das ist der Hafen«, antwortete Walja.
    Sie kehrten an den Strand zurück. Igor, dem die Kleider fest am Körper klebten, stand da und spürte, wie das Meerwasser an

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