Der Gärtner von Otschakow
Gesicht drückten!
[223] »Walja?«, fragte er vorsichtig.
Am Hinterkopf spürte er warmen Atemhauch. Und erst dann hörte er ein vertrautes leises Lachen.
»Na, du hast mich ja erschreckt!«, sagte Igor beruhigt.
Die Hände gaben seine Augen frei, zurück blieb auf seinen Lidern nur die Wärme fremder Handflächen. Igor drehte sich um. Vor ihm stand Walja, mit dem grünen Tuch über dem roten Haar, in einem grünen, überknielangen Kleid und weißen Lackpumps, ein weißes Täschchen in der Hand. Sie ging um die Bank herum und setzte sich neben ihn.
»Gehen wir zum Meer?«, schlug Igor vor.
Walja warf einen Blick nach oben, zum Himmel.
»Vielleicht regnet es nachher«, sagte sie lebhaft, winkte im nächsten Augenblick ab und ergänzte: »Na und? Wir sind nicht aus Zucker, wir zerlaufen nicht! Und dort gibt es auch keine fremden Blicke!«
Energisch stand sie auf und sah sich nach Igor um. Igor erhob sich schnell, und die Gläser in seinem Beutel klirrten, gegeneinander oder gegen die Flasche.
Walja führte Igor über schmale, zugewachsene Pfade ans Meer, die zwischen Gestrüpp und sandigen Senken wie eigens für heimliche Liebende ausgetreten schienen, gesäumt von privaten Gärten oder den vergessenen Zäunen irgendwelcher Werksgelände. Ein paarmal kamen sie heraus auf die große Straße, aber auch dort war es an diesem Abend menschenleer. Zwanzig Meter weiter tauchten sie wieder ab ins Gebüsch. Und zweimal führte der Pfad sie durch Löcher in Zäunen.
»Da drüben ist das Krankenhaus«, erklärte Walja und drehte sich im Gehen um.
[224] Endlich kamen sie zu einem steilen Abhang, und sie standen wieder unter dem finsteren Felsen. Vor ihnen plätscherte das dunkle, stille Meer. Es war seltsam, darauf kein Licht, nicht den leisesten zittrigen Widerschein von Mond oder Sternen zu sehen. Aber an diesem Abend konnte sich im Wasser nichts spiegeln.
Sie setzten sich in den Sand. Igor holte die Gläser und den Sekt hervor, packte die Schokolade aus und brach sie in kleine Quadrate.
»Geht dein Mann dich nicht suchen?«, fragte Igor plötzlich.
»Nein«, seufzte Walja. »Er liegt, der Arme. Quält sich mit seinem Rücken. Morgen bringe ich ihn nach Kamenka zu der Frau. Vielleicht kriegt sie es hin?! Wenn er nämlich keinen Fisch fangen kann, dann habe auch ich nichts mehr zu tun!«
»Dann findest du eine andere Arbeit«, sagte Igor, nahm die Sektflasche in die Hand und begann, den Draht aufzudrehen, während er den Korken auf den Flaschenhals gedrückt hielt.
»Was denn für eine Arbeit?!« Walja lachte leise. »Ich war nur bis zur achten Klasse in der Schule. In der achten habe ich mich so in ihn verliebt, dass ich nicht weiter lernen konnte! So eine Leidenschaft! Gut, dass mein Vater aus dem Krieg ohne Arme heimkam, sonst hätte er mich bestimmt mit dem Gürtel verdroschen. Vor dem Krieg hat er meiner Mutter noch mit dem Offiziersgürtel den Ellenbogen gebrochen!«
»Wohnen deine Eltern auch in Otschakow?«, fragte Igor.
»Sie liegen hier auf dem Friedhof begraben.«
Igor nahm den Draht ab und schüttelte die Flasche. Der [225] Korken schoss mit einem Knall in den Himmel. Igor füllte beide Gläser mit dem Schaum und drückte dann gekonnt den Daumen der rechten Hand auf den Flaschenhals, so dass ein millimetergroßer Spalt blieb und das Gas langsam entweichen konnte. Mit der Linken reichte er Walja ihr Glas und griff nach seinem.
»Auf dich!« Igor beugte sich näher zu Waljas Gesicht und sah ihr in die Augen.
»Was findest du bloß an mir?« Sie zuckte kokett die Achseln, hob das Glas an die Lippen und nippte an dem Sekt.
Igor behielt den prickelnden, schaumigen Sekt eine Weile im Mund und schluckte ihn dann.
›Was finde ich bloß an ihr?‹, dachte er im selben Tonfall, als lauschte er ihrer Stimme noch einmal.
»Was gucken Sie mich so an?«, fragte Walja, nicht mehr kokett, sondern ein klein wenig angespannt.
»Wir haben doch ausgemacht, dass wir per ›du‹ sind«, sagte Igor lächelnd.
»Dann trinken wir Bruderschaft!« Walja lachte.
Sie tranken.
Igor nahm seinen Daumen vom Flaschenhals, Gas kam schon keines mehr, und der Schaum war fort. Er stellte die Flasche mit einer Drehung fest in den Sand, zog Stiefel und Strümpfe aus, versuchte, die Uniformhosen hochzurollen und trat bis zu den Knöcheln ins Wasser.
»Es ist gar nicht kalt!«, sagte er erstaunt.
»Natürlich ist es nicht kalt!«, sagte Walja. »Die Jungs baden noch zwei Monate!«
»Und die Mädchen?«, fragte Igor
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