Der Gärtner von Otschakow
mit sechs Händen und drei Stimmen ans Werk. Igor schaute kurz hinein und trat gleich den Rückzug an, sein Wunsch nach einem Butterbrot für den ersten Hunger blieb unerfüllt.
»Zieh mal im Wohnzimmer den Tisch aus«, bat ihn seine [283] Mutter, die von ihrer Pfanne am Herd aufsah. »Sag Stepan, wir essen in einer halben Stunde!«
Nach ausgeführter Mission ging Igor hinaus vors Gartentor. Er stand dort, blickte die Straße entlang und überlegte, dass er mit seiner Verletzung schon zu lange im Haus herumgelegen und -gesessen hatte. Heute war er ein wenig ins Freie gekommen, und ihm war nach mehr. Nur nicht in dem Anzug mit der Boa-Krawatte, natürlich.
Igor fasste sich an den Hemdkragen, lockerte die Krawatte und wunderte sich selbst darüber, dass er noch nichts Bequemeres angezogen hatte.
Trotzdem blieb er dann bis zum Abendessen im Anzug. Alle setzten sie sich so an den Tisch, wie sie zu dem Hauskauf gegangen waren. Alle, außer Aljona. Sie saß jetzt in einem neuen, hellblauen Pullover da, ihre Wangen waren gerötet und in den Händen hielt sie einen Umschlag, den sie zuerst vor sich auf den Tisch und dann auf ihre Knie legte.
»Sohn, mach den Sekt auf!«, bat Elena Andrejewna.
Igor griff nach der Flasche, öffnete sie, erhob sich und schenkte allen ein, außer Stepan.
»Ja, also.« Auch Elena Andrejewna erhob sich. »Auf Ihren Kauf, Stepan Josipowitsch, Glück Ihrem Haus! Auf dass Sie uns nicht vergessen! Auf dass die Gesundheit Sie nicht im Stich lässt und alle Ihre Pläne Wirklichkeit werden!«
Igor trank ein wenig Sekt und wandte sich dann hungrig den Speisen zu, legte sich zwei Frikadellen, Püree, ›Mimosa‹-Salat und zwei Sprotten auf den Teller.
»Vergiss nicht!«, sagte Elena Andrejewna und fing seinen Blick auf, der schon in dem Festmahl schwelgte. Sie wies mit dem Kinn auf die Sektflasche.
[284] Igor füllte den Sekt in den Gläsern nach und sah Stepan an, dessen Miene jetzt eine große Ruhe ausstrahlte.
»Darf ich?«, erklang Aljonas Stimme.
Sie stand auf und hielt das Glas in der linken Hand.
»Papa«, begann sie. »Ich… ich hatte vielleicht von dir nicht die beste Meinung. Verzeih… Aber ich habe ein Geschenk für dich, es hat schon ein paar Jahre bei mir gelegen…«
Sie nahm den Umschlag von dem Stuhl und hielt ihn Stepan hin.
»Das ist die Bescheinigung über die Rehabilitierung von Großvater, deinem Vater…«
Stepans Lippen zitterten. Er nahm den Umschlag, zog ein Dokument mit Stempel heraus und warf einen schnellen Blick darauf.
»So, Gott sei Dank… Jetzt kann man wirklich ganz von vorn anfangen«, sagte er leise.
Er hob den dankbaren Blick zu seiner Tochter.
»Danke, Aljona! Und ihr«, er sah sie alle an, »trinkt nur! Auf sein Andenken! Mein Leben hat sich gefügt… Gut gefügt. Seines nicht. Aber er hätte sich gefreut, wenn er von meinen Plänen erfahren hätte!«
Die Frikadellen zergingen im Mund. Igor kaute und überlegte, was für Pläne Stepan da wohl geschmiedet hatte.
»Morgen gehen wir alle hin«, sagte Stepan gegen Ende des Essens. »Ich zeige euch unsere Erwerbung. Es wird auch Zeit für mich, ich hindere euch doch daran, euren Schuppen zu benutzen!« Er sah Elena Andrejewna an.
»Was sagen Sie da!« Sie winkte ab. »Ich habe Ihnen diesen Monat ja nicht mal die hundert Griwni bezahlt!«
»Hundert Griwni«, wiederholte Stepan und lächelte vor [285] sich hin. »Also, heute werde ich das letzte Mal bei Ihnen übernachten… Schön war es bei Ihnen!«
Vom Tisch erhoben sich alle irgendwie leicht, als wollte niemand zu lange sitzen bleiben. Die drei Frauen brachten das Geschirr in die Küche, und Nachbarin Olga machte sich ans Spülen.
Stepan trat hinaus vor die Haustür. Igor folgte ihm.
»Ich gratuliere«, sagte er zu dem Gärtner. »Und, naja, verzeihen Sie, falls ich mal irgendwas… falls ich mal unpassende Witze gemacht habe…«
Stepan nickte. In der herabhängenden Hand hielt er immer noch die Bescheinigung über die Rehabilitierung.
»Darf ich mal ansehen?«, bat Igor.
Stepan reichte ihm das Dokument.
›Soll ich ihm von Josip und Tschagin erzählen?‹, überlegte Igor, als er die Bescheinigung gelesen hatte. Und schüttelte gleich darauf den Kopf. ›Er glaubt mir nicht, er denkt wieder, dass ich mich über ihn lustig mache.‹
»Wissen Sie denn viel über ihn?«, fragte er.
»Jetzt mehr. Wenigstens ist klar, wofür sie ihn eingesperrt haben…«
»Wofür?«
»Verleumdung der sowjetischen Ordnung…«
»Was, er war ein
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