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Der Gärtner von Otschakow

Der Gärtner von Otschakow

Titel: Der Gärtner von Otschakow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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ihn fast nie getragen!«
    »Wohin soll ich denn auch im Anzug?! Ich fühle mich auch [274] so als Mensch, dafür brauche ich keine Krawatte!«, platzte Igor heraus, doch plötzlich fiel seine Gereiztheit in sich zusammen.
    Vielleicht, weil die Mutter betrübt den Blick senkte, als sie verstand, auf wen Igor anspielte, vielleicht, weil er selbst spürte, dass er es übertrieben hatte. Er sah zum Schrank.
    »Erklär mir wenigstens, wieso ich einen Anzug tragen soll? Ich habe sie doch in Lwow gesehen, sie ist ein normales Mädchen! Ihr ist doch egal, ob man sie im Anzug empfängt oder ohne. Sie läuft selbst in Jeans und Pullover herum!«
    »Es geht nicht um sie!« Elena Andrejewna winkte ab. »Heute ist für die beiden ein sehr wichtiger Tag! Du bist noch zu jung, um das zu verstehen! Sie gehen doch ein Haus kaufen, und sie möchten gern, dass wir mitgehen… Auch Olga ist schon fertig.«
    Igor wunderte sich stumm über seine Mutter: Wie schnell war aus der Hauptstadtbewohnerin nach der Übersiedlung aus Kiew so eine Provinzlerin geworden!
    ›Gott, wie viel haben die beiden gemeinsam! Und wo kommt das her?‹, überlegte er, während er seine Mutter ansah und über sie und den Gärtner nachdachte.
    »Und, bitte, rasier dich!«, ergänzte sie.
    Wieder schloss sich die Tür hinter seiner Mutter. Igor holte den Bügel mit dem Anzug, den er nicht mehr als drei Mal getragen hatte, aus dem Schrank. Er legte den Anzug auf das Bett, kehrte zum Schrank zurück und befühlte auf seinem Grund die alte Milizuniform, ertastete das Geld und das Halfter mit der Pistole. Fand auch daneben die goldene Uhr an der Kette, in ein altes Tuch seiner Mutter gewickelt.
    »Was für ein Irrsinn!«, brummte Igor. »Und wenn ich jetzt [275] statt im Anzug in Milizhose und Uniformhemd erscheinen würde?« Er lächelte schief. »Da würde sie mich wohl sofort zum Psychiater bringen. Wie als Kind, als sie mich nach dem Unfall mit dem Karussell zu den Ärzten geschleift hat.«
    Die Gedanken sprangen nach Otschakow. Vor sich sah er Waljas erschrockenes Gesicht.
    »Dort Irrsinn und hier Irrsinn!«, seufzte Igor und schloss die Schranktür.
    Eine halbe Stunde später schaute vor dem Fenster die Sonne heraus. Fast gleichzeitig hielt am Gartentor der alte braune Mercedes Universal, der gewöhnlich in Erwartung von Fahrgästen am Busbahnhof stand.
    Igor hatte schon den Anzug und das weiße Hemd samt Krawatte angezogen, die er, wie Stepan, ohne die Hilfe seiner Mutter nicht binden konnte. Die Krawatte würgte ihn wie eine Boa, lähmte Atem, Bewegungen, Gedanken.
    Aus dem Wagen stiegen Stepan und seine Tochter. Stepan beugte sich zum Fahrerfenster und bezahlte. In der Hand seiner Tochter sah Igor eine kleine, aber prall gefüllte Sporttasche.
    ›Für ein paar Tage also‹, erkannte er an dem Gepäck.
    Beim Eintreten stellte Aljona Sadownikowa sich schüchtern vor und drückte Elena Andrejewna die Hand, ohne ihre Tasche loszulassen. Und die Mutter brachte sie mit ihrer Tasche in Igors Zimmer.
    »Machen Sie es sich bequem«, sagte sie.
    Igor lächelte freundlich und ging in den Flur.
    Dort stand Stepan in seinem Anzug, auch sein Hals von einer Krawatte eingeschnürt. Auf seinem Gesicht allerdings war nicht der kleinste Schatten von Unbehagen und [276] Unbequemlichkeit zu sehen. Er blickte auf die Uhr, dann wandte er den Blick zu Igor.
    »Oh«, bemerkte er zufrieden. »Solide siehst du aus, wie ein Banker! Kommst du mit?«
    »Zum Shoppen?« Igor lächelte spöttisch.
    »Nein, ich habe zwei Häuser mit Grundstück beisammen. In einer Stunde unterschreibe ich den Kaufvertrag, zahlen muss man sofort, und in solchen Fällen… je mehr Leute mitkommen, desto besser…«
    »Gut«, sagte Igor nach einer Pause und nickte. Dann versank er in Nachdenken. »Soll ich vielleicht die Pistole mitnehmen? Für alle Fälle!«
    Der Gärtner schüttelte den Kopf.
    »Und Messer auch keins«, ergänzte er kühl und ernst. »Natürlich, alles kann passieren… Aber lieber nicht…«
    »Wieso haben Sie mich wegen der Häuser eigentlich nicht um Rat gefragt?« Igors Stimme hörte man die leichte Gekränktheit an.
    »Du warst doch entweder nicht da oder hast im Bett gelegen… Und ich seh doch, wie du zu mir stehst… Vielleicht bin ich ja auch zu lange bei euch geblieben… Aber jetzt ist damit Schluss, ich werde euch nicht mehr lästig fallen!«
    »Wieso?« Igor breitete die Arme aus. »Ich stehe zu Ihnen ganz normal… Und ich war doch auch mit Ihnen in Otschakow!«
    »Ja«,

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