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Der Gärtner von Otschakow

Der Gärtner von Otschakow

Titel: Der Gärtner von Otschakow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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heißt nicht, dass derbe Kost Förstern besser schmeckt. Förster verlieren schnell das natürliche Vermögen, feine Geschmacksnuancen zu unterscheiden und zu ermessen. Ihnen kommt es auf die Menge an, und bei Tisch prüfen sie als Erstes, wer das größte Stück Brot oder die größte Portion Suppe bekommen hat. Gärtner bewahren meistens das natürliche Vermögen, feine Geschmacksnuancen zu unterscheiden, und entwickeln manchmal sogar die geschmackliche Phantasie so weit, dass sie im [298] Essen Geschmacksnuancen wahrnehmen, die dort gar nicht sind.«
    Igor hob versonnen den Blick von der Seite. Die Klarheit dieser Zeilen verblüffte ihn. Seine Gedanken sprangen zu Stepan. Was war er nun am Ende für einer: Gärtner oder Förster? Es zeigte sich, dass er wohl ein Gärtner war… Igor versank in Nachdenken über sich selbst, über seine kulinarischen Neigungen, oder genauer, seine immer stärkere Gleichgültigkeit gegenüber dem Essen und seiner Umwelt.
    ›Es zeigt sich, dass ich weder Gärtner noch Förster bin‹, dachte er traurig. ›Weder Fisch noch Fleisch… Als ich klein war, was habe ich da für schöne Sandburgen am Strand von Jewpatorija gebaut! Also hätte ich ein Gärtner werden können!‹
    Igor lächelte über seine Erinnerungen.
    ›Nein, ich nehme dieses Geschreibe viel zu ernst‹, dachte er dann. ›Es ist doch kein Lehrbuch der Psychologie! Es ist überhaupt von einem Mann aus dem Volk geschrieben, vielleicht war er nicht mal auf der Mittelschule!‹ Diese letzten Gedanken klangen in Igors Kopf überhaupt nicht überzeugend. In ihnen war irgendein Falsch und eine Unnatürlichkeit zu spüren, wie man sie auf den Gesichtern unbegabter Theaterschauspieler sieht, wenn ihre Mimik und Gesten in Stimmung und Inhalt nicht zu dem passen, was sie sagen.
    Igor wandte sich wieder der nicht zu Ende gelesenen Seite zu.
    »Die Welt ist noch nicht ganz zugrunde gegangen, weil Förster und Gärtner oft Ehen schließen und damit uncharakteristische, aber stabile Verbindungen eingehen. Der Förster-Ehemann freut sich in so einer Verbindung an der [299] Nachgiebigkeit und Scheuheit seiner Gärtner-Ehefrau. Und wenn ein Gärtner-Mann eine Förster-Frau heiratet, dann deshalb, weil sie mit ihrer elementaren Kraft seinen Idealismus im Zaum hält und seine Arbeit streng kontrolliert.«
    ›Da geht es ja um mich und Walja!‹, durchschoss es Igor plötzlich. ›Also bin ich doch ein Gärtner! Oder einfach dem Gärtner näher als dem Förster…‹
    Igor fürchtete sich geradezu davor, diese Seite weiterzulesen. Er blätterte im Manuskript nach hinten und entdeckte ein Kapitel mit dem Titel »Das Raffinieren natürlicher Lebensmittel. Speisen aus Buchweizen- und Gerstenmehl.« Er zog die Augenbrauen hoch, blätterte noch ein paar Seiten weiter. Und da schien ihm, dass wieder jene beiden Wörter aufgeblitzt waren, die an diesem Abend neue Bedeutungen erhalten hatten. Er blätterte eine Seite zurück. Auf Seite zweiundsiebzig fanden sich zwei Rezepte: »Ragout des Försters« und »Ragout des Gärtners«.
    Sorgsam klappte Igor das Manuskript zu, legte es auf einen Hocker und knipste die kleine Lampe aus. Und lag noch etwa eine halbe Stunde auf dem Rücken, sah an die Decke und dachte an Gärtner und Förster.
    Auch den nächsten Morgen verbrachte er über dem Buch vom Essen. Auf Seite hundertfünfzig wurde er hungrig. Er ging in die Küche, holte unten aus dem Küchenschrank ein Literglas mit Buchweizen heraus und kochte sich Grütze. Als er sie aß und sich dabei wunderte, dass die Buchweizengrütze ihm jetzt ungeheuer schmeckte, sah seine Mutter in die Küche herein.
    »Was machst du da?«, fragte sie erstaunt. »Ich wollte gerade Borschtsch kochen…«
    [300] »Mach nur.« Igor sah sie an. »Borschtsch ist eine natürliche Speise. Nur: weniger Salz und mehr Pfeffer! Und verzeih, wegen gestern…«
    »Schon gut.« Sie zuckte die Achseln. »Und was soll ich ihm jetzt sagen?«
    »Deine Sache«, sagte Igor friedlich. »Gärtner sind im Prinzip gute Leute. Nur muss man sie kontrollieren…«
    »Bei was kontrollieren?«, fragte die Mutter. »Er trinkt nicht und Karten spielt er auch nicht!«
    »Das sage ich nur so allgemein, achte nicht darauf!«
    Elena Andrejewna seufzte tief und verschwand.
    Gegen sechs Uhr abends hatte Igor Josips Buch ausgelesen und machte sich damit auf den Weg zu Stepan. Das Buch zurückzugeben war ein mehr als gewichtiger Anlass. Aber nebenbei dachte Igor auch daran, dass er Aljona sehen würde. Gern

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