Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
Nicht dem Vater, sondern der Geliebten.
Wenn Cicero Rose Zimmer aufgedrängt worden war, von seinem Vater aufgedrängt worden war, um zusammen mit der verrückten Jüdin seinen Vater zu studieren, wer war dann dazu ausersehen, Diane Lookins zu studieren? Wer sollte ihre Legende in die Welt ätzen? Wenn Rose und Cicero Douglas zusammenpuzzelten, blieb ein Teil ausgeschlossen, und das war die gesamte Existenz von Diane Lookins. Sie passte nicht ins Puzzle. Diane Lookins hatte außer dem eigenen Sohn keinen Zeugen. Hätte er die Pflicht auf sich genommen, ihre Erniedrigung wahrzunehmen und ganz zu durchdringen, er wäre schreiend davongelaufen. Diane Lookins’ Existenz war gleichzeitig zu schwer und zu leicht, als dass ein Kind sie als Spiegel der eigenen Möglichkeiten hätte erfassen können.
Ja, Cicero studierte seine Mutter – nachdem er einmal die Lust am Studieren entdeckt hatte, studierte Cicero alles. Und ja, Diane Lookins hatte ihre eigene Sprache, hatte sogar Appetit. Auch nach ihrer Erkrankung. Das entdeckte Cicero bei belauschten Telefonaten, ihre sinnliche Lust am Tratschen, Dinge, die aufgegriffen und in sklavischem Entzücken ausgekostet wurden. Das Sexleben anderer. Die Tode anderer, die ihr bestätigten, dass sie noch am Leben war. Cicero entdeckte das auch darin, welche Zeitungen und Zeitschriften sie mitbrachte, wie sie sie verwendete und mit welcher Sorgfalt sie die schmutzigen Details mancher dahergeplauderter Skandale immer wieder las. Sie wollte nichts von dem wissen, womit ihr Mann es Tag für Tag zu tun bekam, aber wenn die Verbrechen von Filmstars begangen wurden, konnte Diane Lookins davon gar nicht genug bekommen.
Cicero war völlig außerstande, Diane auch nur das geringste Zeichen zu geben, dass er sie wahrnahm. Nicht dass er sie studierte, dass er das Studierte speicherte oder dass es ihn berührte. Stattdessen schützte er eine jungenhafte Blindheit für die Dimensionen seinerMutter vor – etwas anderes wäre für ihn zu aufwendig gewesen. Er studierte sie mit stummen Blicken, während er ein Sandwich verschlang, dessen Krusten sie entfernt hatte, während ihm befohlen wurde, die Hände zu waschen und sich zu bedanken, während er murrend die Schulbücher in die Ecke warf und sagte, die Hausaufgaben habe er schon in der Mittagspause erledigt. Und dann verließ er sein Elternhaus wieder, ging zu Rose Zimmer und übte sich in der Kunst, den Mund aufzumachen.
Heute wollte Cicero jedoch ausnahmsweise mal nicht an Rose denken, immer und ununterbrochen an Rose, sondern an Diane Lookins, die Frau, die gemieden wurde und in der Vakuumstille ihrer Nöte dahintrieb. Heute, wo Sergius Gogan ihm nicht von der Seite wich und immer mehr über Roses Dynamik und Zerrissenheit wissen wollte, mehr von Rose und Miriam bitte, als Sergius zugestanden worden war, ein größerer Anteil, Sir, guter Ersatzenkel – da wollte Cicero nein sagen, nein, du Arschloch, nein. Sondern Diane. Cicero hätte Lust gehabt, ein ganzes Seminar über Diane Lookins abzuhalten und ihnen die unsichtbare Negerin in den Hals zu stopfen, bloß trug auch er, wie er genau wusste, viel zu viel Mitschuld daran, sie unsichtbar gemacht zu haben.
Und außerdem irrte sich Cicero. Rose hatte ihm auch geholfen, Diane zu verstehen. Indem sie Cicero Wesen und Ausmaß des Appetits seines Vaters demonstriert hatte, hatte Rose ihm nämlich auch zu verstehen gegeben, dass sich Diane Lookins auf die – unbekannte, ungesehene, unbenannte – Geliebte des Polizisten verließ, um diesen unbändigen Überschuss abzuschöpfen. Indem sie Douglas vögelte, handelte Rose in Übereinstimmung mit Diane Lookins und ihren Lazarettbedürfnissen, ihrem Befriedungsprogramm. Irgendjemand musste Douglas ab und zu auf diese Weise klein machen, um Dianes Teller mit dampfenden Speisen, den Farbfernseher und die Schweigegebote zu katalysieren, ihn dafür zu befreien, auf der Couch wegzudösen. Die beiden Frauen bearbeiteten Douglas Lookins abwechselnd. Und Diane Lookins musste nicht gesagt werden, dass ihre Sexkomplizin existierte.
Soweit Cicero wusste, hatten sich die drei, Diane, Douglas und Rose, nur ein einziges Mal im selben Raum aufgehalten. Selbst das war ein öffentlicher Veranstaltungssaal gewesen, und Cicero wusste auch nicht, ob sie sich überhaupt zu Gesicht bekommen, geschweige denn miteinander gesprochen hatten. Das Fest zur Verleihung des Stipendiums der Guardians Association, im Juni 1973 im Harlemer Renaissance-Ballsaal. Keine zwei Jahre
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