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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
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oder Kanalarbeiter: Rose hatte von beiden ein paar.
    Ja, nach Albert ließ sie Männer über ihre Schwelle. Die attraktive und großbrüstige Rose wurde von Männern besucht und zuckte nicht immer davor zurück, besucht zu werden. An diesem Wendepunkt der Geschichte war es ihr Privileg, den Penis eines Mannes in ihrer Vagina zu spüren, wenn sie das wollte, angesichts der Katastrophen, die ihreraller Überzeugungen heimgesucht hatten, und angesichts des in den Wochenschauen heranpirschenden Grauens. Als Bewohnerin eines zerstörten Jahrhunderts konnte man die Welt auf die Größe einer Frau mit einem Mann in der Lichtung einer Mittagspause schrumpfen lassen. Aber bedeutete irgendeiner dieser Männer Rose mehr als das? Nein, von Lincoln mal abgesehen kaum einer. Eine Stunde in ihrem Bett, aber nicht mal eine Tasse Kaffee danach. Ganz davon zu schweigen, etwa so lange zu bleiben, um das aus der Schule nach Hause kommende Mädchen zu Gesicht zu bekommen.
    In der Wohnung der beiden, Mutter und Tochter, gab es keinen Mann außer Lincoln. Rose war eine umgekehrte Kriegswitwe, geschieden, aber noch mit dem Juden verheiratet, der nach Europa zurückgelaufen war, weil er seine Weltläufigkeit, sein Amerikaner- und sein Judentum im Lösemittel des Ostblocks auf lösen wollte. Vielleicht wurden dort seine Wünsche wahr – vielleicht würde die Partei seinen Ruhestand als Spion irgendwann mit einer Hühnerfarm belohnen!
    Rose war geschieden, aber immer noch mit einem Jahrhundert verheiratet, das auf dem Kopf stand.
    —
    Gab es Männer, die zählten? Nach Albert, nach dem Krieg? Nur drei. Einen Unwürdigen, aber eine Weile wahrlich von Rose besessen; einen Würdigen, den sie nie besaß. Und einen, den nicht sie, sondern Miriam ausgesucht hatte.
    Der Unwürdige war Sol Eaglin. Roses Parteiliebschaft, ein vielleicht unvermeidlicher Sturz. Sol war Alberts Kontaktmann gewesen, der ihn wahrscheinlich auch angewiesen hatte, den Führerschein zu machen und seine junge Frau nach New Jersey zu schleifen. Nachdem das Parteiprotokoll ihn sogar vor der Frau seines Agenten jahrelang geheimgehalten hatte, tauchte er aus der Versenkung auf, kaum dass Albert verschwunden war. Sol war für Rose ein vertrautes Gesicht, bislang anonym bei Treffen, wo andere sich zu Wort meldeten – dass ersie im Lauf der Jahre immer wieder anstarrte, hatte über sexuelle Neugier hinaus keine spezifische Bedeutung gehabt. Jetzt gestand er nicht nur, welche Rolle er in ihren Leben gespielt hatte, sondern erklärte auch, er hätte eine Ehefrau, praktiziere aber die freie Liebe, erzählte freimütig, seine Frau werde von ihm nicht geliebt, in letzter Zeit auch nicht mehr gefickt, und sie interessiere sich keine Spur für sein Tun und Treiben. Dabei zog Sol Eaglin lasziv die Augenbrauen zur leeren Platte seines Hauptes hoch. Er hatte den gesegneten Appetit vieler Männer, die schon in jungen Jahren kahl geworden waren, was ihre Schwestern munkelten und Rose aus eigener Erfahrung bestätigen konnte. Als sie erstmals ein Foto von Henry Miller sah, verwechselte sie ihn mit Sol Eaglin, obwohl sie sich auf den zweiten Blick nicht mal besonders ähnlich sahen, oder nur in Bezug auf die Glatze und das Funkeln einer unerschöpflichen Selbstsucht, die sich sublim oder idealistisch gab.
    Was Sol und sie im Bett machten, überstieg jede Vorstellungskraft. Zumindest im ersten Jahr konnte das fast die dumpfen Schläge seiner Rhetorik wettmachen, seine ständigen Rückbezüge auf die eigene Person, als zitierte er den biographischen Eintrag in einem sowjetischen Handbuch für die Oberschule.
    1948 –50. Das waren die Jahre, die sie in den Grabstein der Affäre gemeißelt hätte. In jedem ernstzunehmenden Sinn endete sie 1950. In Wahrheit gingen Rose und Sol Eaglin aber noch ein paarmal zusammen ins Bett, bevor sie sich dann Douglas Lookins hingab und bevor Sol höchstpersönlich ihren Rausschmiss aus der Partei betrieb. Dieses geleugnete Nachspiel, der sporadische Sex nach der offiziellen Trennung, entsprach dem unterirdischen Wiederaufflackern anderer Flammen, von denen man sich losgesagt hatte – insbesondere dem sowjetischen Traum.
    Nachdem sie erst Alberts Illusionen in Bezug auf die UdSSR durchschifft hatte und dann Sols genauso absurden und störrischen Glauben, entdeckte Rose, dass sie ein zuvor ungeahntes Talent zum Schweigen hatte.
    Lasst die Enttäuschung heller brennen als die Liebe und lasst sie so dem Urteil derer am Spielfeldrand zuvorkommen.
    Lasst das

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