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Der Gast des Kalifen

Titel: Der Gast des Kalifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Lawhead
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die Welt je gesehen hat. Und nun hatte ich ihn berührt und in meinen Händen gehalten. Ich dachte an die Herren des Abendlandes, ihre Gier und Bosheit, und an die unerträgliche Überheblichkeit des Papstes, der unbekümmert Tausende ins Grab geschickt hatte. Während ich schlaflos im Bett lag und über diese Dinge grübelte, erwachte in mir ein gerechter Zorn darüber, dass solch gottlose Menschen über die Armen und Demütigen herrschten, die der Herr ihrer Obhut anvertraut hatte.
    Als die ruhelose Nacht schließlich einem milden Morgen wich, hatte ich einen Plan gefasst, der mich zum Guten oder Schlechten meinem Schicksal entgegenführen sollte.

    ch erzählte niemandem von meinem Plan. Ich wollte die Entscheidung noch eine Weile wachsen und reifen lassen. Ohnehin ist es besser, sich nicht kopfüber in etwas hineinzustürzen, was man sich im Laufe einer schlaflosen Nacht ausgedacht hat. Im Licht des Tages entdeckt man häufig Schwachstellen in einem Plan, die in der Dunkelheit der Nacht verborgen geblieben sind, und ich verspürte nicht den Wunsch, tollkühn zu sein.
    So ging ich meinen üblichen Arbeiten nach, und niemand ahnte etwas. Eirik setzte seine Rundreise fort - diesmal schloss sich auch Niniane seinem Gefolge an -, und Abt Emlyn reiste nach Orkneyjar. Murdo richtete all seinen Eifer auf den Bau der Kirche und ließ jeden, einschließlich sich selbst, von früh bis spät arbeiten.
    Wir alle gingen frohen Herzens unserer Tätigkeit nach, doch sprachen wir nie auch nur ein Wort über das, was in jener Nacht enthüllt worden war oder über den unglaublichen Schatz, der in der Mitte des Hauses verborgen lag.
    Schließlich wurden die Tage trüb und die Nächte länger. Der Bau an der Kirche kam nur noch schleppend voran, und immer häufiger mussten die Arbeiter die letzten Verrichtungen bei Fackellicht erledigen. Einige der Steinmetze würden über Winter bei uns bleiben, um zu verhindern, dass Eis und Schnee das Erreichte bis zum Frühjahr wieder zunichte machten; andere jedoch waren bereits begierig darauf, wieder in ihre Heimat im Süden zurückzukehren. Täglich blickten sie in den Himmel, und als die ersten Gänse von Ork-neyjar nach Süden flogen, zogen auch sie in wärmere Gefilde.
    Murdo hatte zugestimmt, jeden, der gehen wollte, nach Inbhir Ness bringen zu lassen, von wo Schiffe nach Eoforwik segelten. Ich fuhr mit, hauptsächlich, um bei der Rückfahrt zu helfen; ein Mann allein kann ein Boot zwar segeln, doch mit zweien ist es einfacher, und mein Vater ist ausgesprochen eigen, was sein Boot betrifft.
    Mit Sarn Kurzfinger an der Ruderpinne kamen wir die Küste entlang gut voran. Es war schon einige Zeit her, seit ich das letzte Mal in Inbhir Ness gewesen war, und ich freute mich schon auf all die Neuigkeiten, die ich dort hören würde - besonders auf solche über das Heilige Land. Da das Wetter schön war und es aussah, als würde es sich auch die nächsten Tage so halten, überredete ich Sarn, einen Tag in der Stadt zu bleiben. Er war von der Idee sogar recht angetan, und nachdem wir die Steinmetze zu einem Schiff gebracht hatten, das noch in dieser Nacht Richtung Süden ablegen wollte, wanderten wir durch den Hafen und redeten mit den Seeleuten.
    Ich fand niemanden, der mir etwas über das Heilige Land hätte erzählen können, doch der Hafenmeister riet uns, den Trinkhallen am Kai einen Besuch abzustatten; vielleicht würden wir dort ja etwas erfahren. Das taten wir auch, hatten aber auch hier keinen Erfolg. Niemand wusste etwas. Nach der zweiten Halle und dem dritten Becher Bier fragte Sarn: »Warum wollt Ihr so viel über das Heilige Land wissen, junger Herr?«
    »Warst du nie einfach nur neugierig, Sarn?«
    »Einmal schon«, antwortete er nachdenklich. »Ich wollte wissen, wo ein Dachsjunges hin verschwunden war.« Er hob die Hand, und ich sah, dass sein Mittelfinger kürzer war als die anderen. »Ich habe es herausgefunden, und das hat mir die Neugier vergällt.« Er schwieg einen Augenblick lang; dann fügte er hinzu: »Deswegen gefällt mir
    auch die See so gut: keine Dachse.«
    Wir leerten unsere Becher und wanderten wieder durch die Stadt, um einen klaren Kopf zu bekommen. Ich sah eine alte Frau, die aus Lammhaut und Leder Schuhe fertigte; sie hatte gerade ein kleines Paar Kinderschuhe fertig gestellt, das mit gestickten Vögeln aus roten und blauen Fäden verziert war. Ich kaufte es für meine Tochter. Dieses Paar Schuhe hat deine Füße den ganzen Winter über warm gehalten, Cait, und

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