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Der Gast: Roman

Der Gast: Roman

Titel: Der Gast: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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geöffnet wurde, hob er den Kopf vom Kissen. Sue kam aus dem Bad. Sie war barfuß und trug ihren schwarzen Lederrock und das ärmellose blaue Hemd. Mit einem Handtuch rieb sie sich das Haar trocken.
    Ihr Blick blieb an dem Armband an Neals Handgelenk hängen. Sie zog die Mundwinkel hoch. »Wo warst du?«, fragte sie.
    Neal setzte sich auf der Matratze auf und schlug die Beine übereinander. »Ich habe geschlafen.« Er lächelte sie an und hoffte, es wirkte süffisant.
    Sue blieb vor seinem Bett stehen, rieb sich weiter das Haar und sah ihm in die Augen. »Du hast also geschlafen, ja?«
    »Ja.«
    Sie grinste, als wüsste sie es besser. »Ich weiß verdammt genau, dass du in mir warst. Und du weißt, dass ich es weiß.«
    »Woher sollte ich das wissen?«
    »Du weißt, woher.«
    »Sag’s mir.«
    »Ich hab’s dir in meinem Kopf gesagt«, meinte Sue. »Wir haben uns schön und lang unterhalten.«
    »Das muss ziemlich einseitig gewesen sein.«
    »Du weißt verdammt genau …«
    Er schüttelte den Kopf.
    Irgendwie schaffte Sue es, zugleich zu lächeln und die Stirn zu runzeln. Sie legte sich das Handtuch über die Schultern und kroch auf das Bett. Auf allen vieren sah sie Neal in die Augen. »Gib es zu. Los.«
    »Nein.«
    »Komm schon. Es ist doch nix Schlimmes.«
    »Nichts Schlimmes«, sagte er.
    Sue verdrehte die Augen. »Ich weiß, dass du es gemacht hast. Ich habe es nämlich geplant . Das war der Sinn der Sache. Verstehst du? Weil ich es dir schuldig war. Und ich wollte, dass du weißt, was ich empfinde … für dich. Von innen.«
    Sie wandte den Blick nicht von seinen Augen.
    »Du weißt das alles«, murmelte sie. »Du warst in mir, deshalb weißt du alles.«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Zum Beispiel alles über die große Reise.«
    Er lächelte. »Die große Reise? Was für eine große Reise?«
    »Das weißt du verdammt genau.«
    » Deine große Reise?«
    Sie sah ihn mit offenem Mund an.
    »Verdammt! Ich hab’s verpasst.«
    Sue schüttelte langsam den Kopf und stöhnte: »Das kann doch nicht wahr sein.«
    »Ich habe geschlafen«, sagte Neal.
    »Du hast geschlafen.«
    »Ich schwör’s bei Gott. Ich hätte dir beinahe einen Besuch abgestattet. Ich habe das Armband angezogen. Ich wollte es wirklich tun und … ich meine, mein Gott, von allem anderen abgesehen, hast du gerade ein Bad genommen.«
    »Allerdings.«
    »Ich habe nur gedacht … weißt du, es gibt ja auch noch Marta.«
    »Du hättest es ihr nicht erzählen müssen.«
    »Selbst wenn sie es nie herausfinden würde«, sagte er, »würde ich es wissen. Ich hätte das Gefühl, sie zu betrügen.«
    »Du bist doch nicht mit ihr verheiratet.«
    »Nein, aber … es war nicht nur wegen Marta. Ich wollte dich nicht so behandeln. In deine Privatsphäre eindringen. Dich ausspionieren. Es kam mir falsch vor. Außerdem verstößt es gegen die Regeln, das Armband bei jemandem zu benutzen, den man … mag. Das war Elises erste Warnung. Man könnte Sachen herausfinden, die man gar nicht wissen will.«
    Sue, die immer noch auf Händen und Knien vor ihm hockte, ihm immer noch in die Augen sah, nickte langsam. »Du hättest eine ganze Menge rausgefunden«, sagte sie.
    »Tja …« Neal zuckte die Achseln.
    Sue hob die Hand und zeigte mit dem Finger auf ihn. »Du hast keine Ahnung, was du verpasst hast, Alter.« Mit einem milden Lächeln drückte sie den Zeigefinger auf seine Nasenspitze.
    Er versuchte zu lächeln.
    »Aber du hast auf jeden Fall ein paar Anstandspunkte gesammelt.« Sie kroch rückwärts vom Bett. »Du warst bestimmt bei den Pfadfindern«, sagte sie.
    Er errötete. »Ja. Und bei den Baptisten. Aber das ist schon lange her.«
    »Tja, manche Dinge tun nicht vergehen.«
    »Tugendhaftigkeit ist die reine Hölle.«
    Lachend zog sich Sue das Handtuch von den Schultern. »Du hast noch einen langen Weg vor dir, ehe sich dich heilig sprechen. Du hast so ein Ehrgefühl, aber du hast auch eine schmutzige Fantasie und diese Wut in dir.«
    Diese Worte schockierten ihn.
    »Wut? Welche Wut?«
    »Du hast mich beim Mittagessen absichtlich fallen und gegen den Tisch knallen gelassen. Zufällig weiß ich auch alles darüber, wie du dieser Karen letzte Nacht in den Bauch geschlagen hast.«
    »Ich hatte keine andere Wahl.«
    »Es hätte dir aber keinen Spaß machen müssen.«
    Er wollte protestieren, doch ihm wurde klar, dass es keinen Sinn hatte. Warum sollte er es leugnen? Sue war in seinem Kopf gewesen, als er das Bild der Nackten an der Bar gesehen und sich daran erinnert hatte,

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