Der Gast: Roman
entzweiriss. Mit den Kontrollabschnitten in der Hand ging Neal voran durch ein Drehkreuz.
Auf der anderen Seite nahm Sue wieder seine Hand. Sie blieben nebeneinander stehen und sahen sich um.
Vor ihnen lag eine weite offene Fläche, offenbar der Exerzierplatz. Eine ziemlich große Menschenmenge hatte sich dort versammelt. Die Leute schienen der Vorführung eines Trupps berittener Soldaten zuzusehen. Die Soldaten hatten ihre Säbel gezogen.
Der Exerzierplatz war von Holzgebäuden umgeben, in denen es verschiedene Geschäfte und Restaurants gab. Die ganzen Fahrgeschäfte und was The Fort sonst noch zu bieten hatte, mussten auf der anderen Seite des Platzes liegen. Einige Besucher schlenderten durch einen breiten Durchgang in der Palisade gegenüber. Neal konnte dort Karussells aufragen sehen.
»Wo möchtest du anfangen?«, fragte er.
Sue zuckte die Achseln. »Ich will nix, äh, nichts verpassen. Sollen wir da drüben loslegen und dann im Kreis rumgehen?«
»Die altehrwürdige Gegen-den-Uhrzeigersinn-Methode.«
Sie warf ihm einen seltsamen Blick zu. »Was?«
»Hier lang«, sagte er.
Sie überquerten den staubigen Exerzierplatz, gingen hinter zwei an einen Pfosten gebundenen Pferden vorbei, stiegen auf einen hölzernen Laufsteg und betraten das erste Geschäft.
Es war auf Wildwest-Kleidung spezialisiert. Sie schlenderten eine Weile durch den Laden und bewunderten die Cowboyhüte, Stiefel, schicken Hemden, Jeans, Lederwesten, Wildlederjacken, Gürtel mit Silberschnallen und Bolo-Krawatten. »Wenn du etwas sieht, das du haben möchtest, sag mir einfach Bescheid«, meinte Neal.
Sue verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf.
»Ich liebe dieses Zeug«, gab Neal zu, nachdem sie das Geschäft verlassen hatten. »Das einzige Problem ist, wenn man in L. A. wie ein Cowboy herumläuft, wird man wahrscheinlich verprügelt. Oder erschossen.«
»Du solltest umziehen.«
»Ich weiß nicht.«
»Du kannst mit mir durch die Gegend ziehen. Wir fahren mit meinem Jeep Cherokee los und sehen uns das Land an. Du kannst die komplette Montur anlegen – Lederhose, Cowboyhut und klirrende Sporen. Ich werd dich nicht zusammenschlagen oder erschießen.«
Neal wusste, dass sie Spaß machte.
Aber er nahm an, sie hätte nichts dagegen, wenn er tatsächlich mitkommen würde.
Während sie von Laden zu Laden tingelten, dachte Neal darüber nach, wie es wäre, mit Sue durchs Land zu reisen. Es war nur ein Tagtraum, keine echte Möglichkeit. Er musste seinen Lebensunterhalt verdienen und in seinem Beruf vorankommen. Und was war mit Marta? Er konnte sie nicht einfach verlassen.
Verdammt, er wollte sie nicht verlassen. Er liebte sie. Schon seit Langem ging er davon aus, dass er wahrscheinlich einmal um ihre Hand anhalten würde.
Er wollte sie immer noch heiraten.
Doch jetzt war Sue aufgetaucht.
Was, wenn sich herausstellt, dass sie mich liebt und wirklich bei sich haben will?
Dann hast du ein Problem, Kumpel. Du musst dich zwischen den beiden entscheiden.
Das wäre eine seltsame Wendung des Schicksals, dachte er. Sich plötzlich zwischen zwei Frauen entscheiden zu müssen, nachdem er so lange überhaupt keine gehabt hatte. Vor Marta hatte es eine fast zehnjährige Durststrecke gegeben.
Hin und wieder eine Freundin, aber nichts Ernstes.
Ihm war es bei einigen ernst gewesen, doch sie hatten seine Begeisterung nicht geteilt. Die meisten schienen nach dem großen Wurf zu suchen – einem Mann, der schon reich oder zumindest auf dem besten Weg dahin war.
Neal hatte nicht in dieses Schema gepasst.
Mit einundzwanzig Jahren hatte er seinen ersten und einzigen Heiratsantrag gemacht, Judy Fain, einer Kommilitonin an der U.S.C. Sie hatte geantwortet: »Ich liebe dich von ganzem Herzen, Neal. Du bist so süß. Aber ich fürchte, du wirst niemals in der Lage sein, mich so zu versorgen, wie ich es gewohnt bin.«
Bei seiner ersten Liebe, Sammi Wyatt, hatte das Thema Geld keine Rolle gespielt. Doch sie war zurück an die Ostküste gezogen, als sie beide siebzehn gewesen waren. Neun Monate lang waren sie in Kontakt geblieben, aber dann hatte sie ihm am Telefon von einem Kerl namens Keith erzählt …
Danach war es, was Frauen anging, nur noch bergab gegangen.
Bis Marta auftauchte.
Sie schien es nicht zu interessieren, dass er nicht auf dem Weg zu Reichtum war.
Sie liebt mich so, wie ich bin.
Doch als er Marta kennenlernte, hatte er immerhin schon ein Drehbuch verkauft und an ein paar anderen Projekten in verschiedenen Entwicklungsphasen
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