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Der Gast: Roman

Der Gast: Roman

Titel: Der Gast: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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will nicht …«
    »Ich weiß, ich weiß. Und ich verstehe und akzeptiere das. Du musst nichts nehmen. Aber trotzdem gehört dir alles. Ohne Ausnahme.«
    Sein Mund fühlte sich plötzlich schrecklich trocken an. Er trank noch einen Schluck. »Du meinst damit doch nicht …« Es kam ihm nicht über die Lippen.
    »Mich?«
    Er nickte.
    »Natürlich.«
    Er hörte, wie ihm ein Stöhnen entwich.
    Elises Lächeln kehrte zurück. »Mach dir deshalb keine Gedanken. Wenn du in Marta verliebt bist … denke einfach daran, dass ich dir immer zur Verfügung stehe, falls du mich willst.«
    »Du machst Witze«, murmelte er.
    »Ich glaube, du weißt es besser.«
    »Du kennst mich nicht mal.«
    »Ich kenne dich gut genug«, sagte sie. »Ich gehöre dir – wann immer du mich willst.«
    Elise trank einen Schluck, beugte sich vor und stellte das Glas auf dem Tisch ab. »Alles, was mir gehört, gehört auch dir«, sagte sie. »Wann immer du willst. Aber das hier sollst du heute Nacht bekommen.«
    Sie zog das goldene Armband von ihrem Handgelenk und hielt es ihm hin.
    Ein dicker Reif aus fein gewirktem Gold – eine Schlange, deren Kopf den eigenen Schwanz schluckte. Zwei leuchtend grüne Juwelen bildeten ihre Augen. Smaragde?
    Neal schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Das kann ich nicht annehmen.«
    »Es ist das Wertvollste, das ich besitze.«
    »Dann erst recht nicht.«
    »Streck die Hand aus.«
    »Elise.«
    »Bitte. Für mich.«
    »Was soll ich denn Marta erzählen, wenn sie mich mit dem Ding sieht?«
    »Die Wahrheit. Oder pass auf, dass sie es nicht zu Gesicht bekommt. Das musst du selber wissen.«
    »Ich kann es nicht annehmen. Wirklich.«
    »Leg es nur mal kurz an.«
    Er konnte darin nichts Falsches erkennen, also nahm er das Glas in die linke Hand und streckte Elise die rechte entgegen. Sie schob ihm das Armband über die Hand.
    Es war noch warm von Elise.
    Es fühlte sich schwer an.
    »Wirklich schön«, sagte er.
    »Es ist viel mehr als das.«
    »Was meinst du damit?«
    »Es ist nicht nur schön, es ist magisch.«
    Lächelnd hob er den Blick zu Elise. »Kann es Kartentricks?«, fragte er.
    »Das ist mein Ernst.«
    »Ein magisches Armband?«
    »Genau. Es war ein Geschenk. Ich habe es, seit ich sechzehn bin. Ein Geschenk von … einem wunderbaren Mann. Einem Dichter. Sein Name war Jimmy O’Rourke. Wir waren wahnsinnig verliebt. Doch er musste zurück nach Irland.«
    »Ein Ire?«
    Elise nickte. »Er war Gastdozent an der University of California.«
    »Wie alt war er?«, fragte Neal.
    »Ach, fünfunddreißig.«
    »Und du warst sechzehn?«
    »Ich weiß. Schrecklich. Aber ich war bezaubert von ihm. Er war sehr liebenswert, und du hättest ihn reden hören sollen.« Sie seufzte. »Jedenfalls habe ich ihn kennengelernt, als ich mit ein paar Freundinnen drüben in Westwood Village war. Wir haben in einer Buchhandlung gestöbert, und … er hat mich angesprochen. Nach gerade mal zwei Worten war ich bis über beide Ohren in ihn verknallt. Danach waren wir nahezu unzertrennlich.«
    »Was war mit deinen Eltern?«
    »Sie wussten nichts von ihm. Ich habe mir Geschichten ausgedacht, dass ich eine Freundin besuchen oder ins Einkaufszentrum gehen würde. Oder zum Strand. Aber ich habe mich immer mit Jimmy O’Rourke getroffen, und meine Eltern sind nicht dahintergekommen. Sie wären entsetzt gewesen – da gibt es keinen Zweifel –, dass ihre Tochter sich mit einem Mann in diesem Alter herumtrieb. Nicht, dass wir … es war nichts Schmutziges an der ganzen Sache. Wir waren einfach verliebt.«
    Neal sah Tränen in ihren Augen.
    »Dann ging der Sommer zu Ende, und Jimmys Mutter rief aus Shannon an. Seine Schwester hatte einen Autounfall. Ihr Zustand war kritisch, sie wussten nicht, ob sie durchkommen würde.« Elise schniefte und wischte sich die Augen.
    »Hat sie überlebt?«
    »Ich weiß es nicht. Nachdem er weggefahren ist, habe ich nie mehr etwas von Jimmy gehört. Aber vorher hat er mir das hier gegeben.« Mit den Fingerspitzen tippte sie auf das Armband an Neals Handgelenk. »Er nannte es ein ›Feenarmband‹. Damals, als er am Trinity College studiert hat, war er nachts aus und kam zufällig an einem brennenden Gebäude vorbei. Er hörte jemanden schreien, deshalb ist er hineingelaufen. Im Obergeschoss fand er eine blinde Frau. Sie war hysterisch und wusste nicht, wie sie hinauskommen sollte. Jimmy hat sie aus dem Haus getragen. Ihr das Leben gerettet. Sie trug dieses Armband und hat es ihm gegeben. Sie hat darauf bestanden, dass er es

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